Hofübertragung, Heirat und Leibzucht bei unseren Urgroßeltern

von
Heinrich Ottensmeier

 

Was seinerzeit zu einem „Vollen in der Gemeinde Gohfeld Ueblichen Brautwagen“ gehörte  „Regierungswechsel“ auf dem Ottenshof

Wir schreiben das Jahr 1817, der Colonus Johann Friedrich Stickdorn oder Ottensmeyer, geborener Grewe aus Exter, hat seinen Hof Bischofshagen Nr. 26, den er durch Einheirat erworben hat, seit dem Jahre 1789 schlecht und recht bearbeitet und verwaltet. Jetzt aber ist er der Arbeit müde. Die Kriegs- und Besatzungsjahre haben ihre Spuren hinterlassen. Besonders aber die letzten sieben Jahre sind schwer gewesen, zumal ihn seine Ehefrau Chatarine Ilsabein Stickdorn im Jahre 1810 mit den Kindern zurückließ und in das bessere Jenseits einging.

Junge Kräfte müssen Hof und Verantwortung übernehmen. Da ist nun sein einziger Sohn Johann Christoph, der, eben großjährig geworden ist, so erfahren und verständig ist, daß er Bauer werden kann. –

Allerdings, so ganz einfach ist die Sache gerade nicht. Der Hof ist „königlich-eigenbehörig“. Wenn auch die Leibeigenschaft aufgehoben ist, so besteht doch noch eine gewisse Einschränkung der Freiheit des Bauern. Der Obergutsherr, in diesem Falle der König bzw. die königliche Regierung in Minden, muß bei besonderen Anlässen, wie bei Hofübertragungen, Heiraten, bei Landverkäufen usw., um Genehmigung angegangen werden; außerdem sind auch noch bestimmte Abgaben, Weinkauf usw., wie wir später sehen werden, an den Obergutsherrn zu entrichten. So muß hier die Regierung in Minden neben der Übertragung der königlich-eigenbehörigen Stätte die Heirat des Johann Christoph gutheißen. Schließlich gilt es noch, den in den Ruhestand ziehenden Bauern durch Festsetzung und Bestimmung der Leibzucht vor wirtschaftlicher Not zu sichern.

Zwar ist in der Geschichte noch kein Fall bekannt geworden, in dem Leibzucht tatsächlich in Anspruch genommen wurde, da die Leibzüchter durchweg im besten Einvernehmen mit ihren Nachfolgern lebten und in den Sielen starben, aber.... „man zieht sich nicht eher aus, bis man ins Bett geht!“ Aber lassen wir hier einmal die überaus interessanten vergilbten Blätter, die  uns einen Einblick in die damaligen bäuerlichen Verhältnisse unserer Heimat geben, wörtlich berichten:

 

 „Herford , den 13. September 1817

Erschien der Colonus Johann Fried. Stickdorn, Besitzer der Königlich eigenbehörigen Stette Nr. 26 der Bauerschaft Bischofshagen, Gerichtsbezirk Vlotho, und zeigt an;

Er sey seit 21 (?) Jahren Besitzer seines Colonats, habe sich zur Zeit seines Antritts zu dessen Besitz gehörig qualifizieret und lebe seit beinahe 8 Jahren im Witwenstande, in dem er seit dieser Zeit die Bewirtschaftung seines Colonats unter Beihülfe seiner erwachsenen Kinder bewürkt habe. Bei seinem gegenwärtig erreichten Alter (52 Jahre!) werde ihm inzwischen die Bewirtschaftung des Colonats zu beschwerlich, und er habe sich entschlossen, seinen ihm noch übrigen Sohne Johann Christoph den Besitz des Colonats abzutreten.

Da inzwischen derselbe, ohne verheyratet zu seyn, der Wirtschaftsführung sich nicht unterziehen könne, so habe er sich, unter Voraussetzung der gutsherrlichen Genehmigung, mit der Anna Marie Ilsabein Heeper, Tochter des von Kornbergschen eigenbehörigen Colonats Nr. 7 der Bauerschaft Falkendiek, in ein Eheversprechen eingelassen, um des gutsherrliche Genehmigung er hierdurch gebeten haben wolle. Der zugleich erschienene Anerbe Johann Christoph Stickdorn, ingleichen die Anne Ilsabein Heeper, Im Beysein ihres Vormundes, des Vorstehers Krüger der Gemeinde Falkendiek, in Person gegenwärtig, bekannten sich zu dem-jenigen, was rücksichtlich ihrer Verheirathung vom Colono Stickdorn angezeigt worden. Es zeigte dabei der Vorsteher Krüger im Auftrage des Bruders der Braut, des Coloni Heinrich Heeper, an, daß , obwohl den anzubringenden Heeperschen Kindern der Taxtmäßig zu erwartende Brautschatz gutsherrlich noch nicht verschrieben sey, der Colonus Heeper sich einstweilich dazu verbindlich gemacht habe, der vorhin benannten, Seiner Schwester, einen sofort auf die Brautkiste zu zahlenden Brautschatz von 200 Reichsthalern Courant und einen landesüblichen Brautwagen von allerlei Theile viere, ingleichen ein Pferd und einen halbbeschmiedeten Wagen mitzugeben, das inzwischen derselbe gleich dasjenige vorbehalten werde, was nach der demnächst vorzunehmenden Abschätzung des Colonats den übrigen Geschwistern werde zum Brautschatz gebilligt werden.

Es erklärte Colonus Stickdorn, unter Zustimmung seines Sohnes und Anerben, daß er mit diesem, seiner künftigen Schwiegertochter und Ehefrau bestimmten Brautschatze, dem jedoch, wie die allerseits Anwesenden einräumten, das den Leuten zu verabreichende Ehrenkleid noch hinzukomme, in jeder Hinsicht vollkommen zufrieden sey, und wurde dennoch von allerseits Anwesenden darum gebeten, daß zu dieser Verheirathung die gutsherrliche Genehmigung soh wol ertheilet, als der Anne Marie Ilsabein Heeper der Mitbesitz des Stickdornschen Colonats in gesetzlicher Art zugeführt werden möge.“ –

In diesem Zusammenhange dürfte es wohl interessieren, was seinerzeit zu einem „Vollen in der Gemeinde Gohfeld üblichen Brautwagen“ gehörte. Man möchte wohl sagen, daß auch die kleinsten Gegenstände auf der vorliegenden Aufstellung aus dem Jahre 1841 nicht vergessen sind, sogar die Seite Speck und der Besen sind aufgeführt. Besonders beachtenswert sind die für die Flachsbearbeitung notwendigen Gegenstände im Brautschatz. Das Verzeichnis zählt auf:

                                                                                                rth.        sgr.       Pfg.

1 Kleiderschrank mit zwey Türen von Eichenholz                                                  10          ---         ---
1 Anrichts Schrank nebst Aufsatz zwey Thüren, dito                                             11          15         ---
1 mit Eisen beschlagener Koffer, dito ist schon vorher abgeliefert
1 gemachtes (fertiges) Bette                                                                              24          ---         ---
-  -  -                                                                                           2          20         ---
1 Stanne (Tonne zum Laugen des Leinens) v. Eichenholz                                        2          10         ---
1 Butter Kaare (Butterkarre) von dito                                                                   ---          17         ---
3 Stühle                                                                                                               1          15         ---
1 Kessel von Kupfer                                                                                              3          ---         ---
1 Topf von Eisen und höltzen füllöffel                                                                  1            1          3
1 Pfannkuchen Pfanne                                                                                        ---          15         ---
1 Dreifuß                                                                                                          ---             7          6
1 Hechelstuhl                                                                                                    ---           10        ---
1 Flachs Hechel                                                                                                  ist schon abgegeben
1 Tisch von Eichenholz gemacht                                                                             2          ---        ---
2 Flachs – Brake                                                                                                  ---             7         6
1 Spinnrad grobes                                                                                                ---           25     ---
1 Haspel (zum Aufrollen und Messen des Garns)                                                   ---           10       ---
2 Dutzend hölzern Tellers                                                                                  ---             7         6
1 Salzfaß                                                                                                          ---            12         6
2 Dutzend hölzern Löffels                                                                                 ---              7         6
an Irdenen zeuge, Schaalen und Becken                                                             ---             27        6
1 Blechern Durchschlag                                                                                    ---               6         3
1 Reibe                                                                                                           ---              2         6
1 Lampe                                                                                                          ---              4        ---
1 Forke                                                                                                           ---              6         3
1 Dräschflegel                                                                                                 ---              3         9
1 Zug-Harke                                                                                                    ---              1         6
1 Stoßtrog nebst Eisen                                                                                      1             ---       ---
1 Molle                                                                                                           ---             12        6
1 Eimer                                                                                                          ---               7        6
1 Handkorb                                                                                                    ---               5       ---
1 Handtuchstock                                                                                            ---              10      ---
1 Brautdistel wenigstens a 3 Kloben                                                                ---              15      ---
  (Flachstock am Spinnrad mit wenigstens 3 Bündchen Flachs)
1 Seite geräucherter Späk    ist schon abgeliefert
2 Hauer (zum Klopfen des Leinens in nassem Zustand)                                     ---                5      ---
1 Besen                                                                                                         ---               ---       6
_______________________________________________________________________________________                                                                                          in Summa                    74                 3       6
Für die drei schon vorher abgelieferten Gegenstände
wurde die volle Taxe angenommen                                                               5                 3       ---
Gesamtwert des Brautwagens                                                                     79                11       6

Die Richtigkeit dieser Taxe wird dann durch eine eidesstattliche Versicherung des Colons Ottensmeier, der die Aussteuer zu liefern hat, und der Taxatoren Hartmann und Koch bekräftigt. – Wenn außer einem solchen Brautwagen noch Pferd und Wagen und 200 Thaler Courant als Brautgabe mitgebracht werden, kann auch der alte Colonus wohl zufrieden sein. Da bleibt also nur noch die

                                              Regelung der Leibzucht.

Hierzu erklärt der Colonus Johann Friedrich Stickdorn, „daß er die Absicht habe, mit seinen Kindern auf dem Colonate in gemeinschaftlicher Wirtschaft zu bleiben, inzwischen Wünsche er, daß in Berücksichtigung möglicher, durch Todesfall eintretender Veränderungen die Leibzucht verschrieben werden möge, die er zu genießen haben sollte, wenn er selbige zu beziehen veranlaßt werden möchte.“ Es wird nun unter Zustimmung des jungen Coloni Stickdorn und seiner künftigen Ehefrau so wie deren Vormundes die Leibzucht mit folgenden Bestimmungen festgesetzt:

 

1. Freie Wohnung in dem Leibzuchthause;
2. die Benutzung des Gartens, welcher bisher den Leibzuchtgarten ausgemacht hat, einschließlich derjenigen Vergrößerung, welche demselben durch den jetzigen Besitzer verschafft worden ist;
3. an sättdigen Ländereien dieser Leibzucht zwei Morgen auf dem Kampe vor dem Hof belegen;
4. hat der Leibzüchter freien Brand und
5. die freie Bearbeitung der Ländereien, sowie Befreiung von der Bezahlung der verhältnismäßigen Abgaben zu genießen.

„Zur Rechtfertigung dieser Leibzuchtverschreibung wurde angeführt, daß an Gartenland 2 ½ Morgen, an Ackerland 25 Morgen, an Wiesenwachs 1 Morgen und an Holzwachs 2 Morgen zu dem Colonate gehören und das von diesen Grundstücken an Contribution monatlich 1 Reichsthaler 2ggr. (gute Groschen), an Domänen jährlich 16 Reichsthaler bezahlt werden müßten. Es äußerten sich demnach sämtliche Anwesende, daß sich daraus die Zulässigkeit der erwähnten Leibzuchts-Verschreibung auslangend ergeben werde.“

„Übrigens erklärte der Vorsteher Krüger Namens Col. Heeper, daß letzter zur Qualifikation seiner Schwester zum Besitz des Stickdornschen Colonats den hergebrachten Weinkauf von 3 Rtl. zur Domainen-Casse zu berichten erböhtig sey, und so wie solchem nach dieser Verschreibungs-Handlung beschlossen worden, so ist inmittels das gegenwärtige, dieserhalb aufgenommene Protokol vom Col. Stickdorn und Vorsteher Krüger namentlich unterschrieben, von den des Schreibens unerfahrenen Johann Christoph Stickdorn und der Anne Marie Ilsabein Heepers mit Kreuzen nach geschehener Vorlesung und Genehmigung unterzogen worden.“ –

Die Königlich-Preußische Regierung genehmigt und bestätigt dann auch unter dem 11. Oktober als Obergutherrin : 1. die Übertragung des Königklich- eigenbehörigen Colonats Nr. 26 der Bauerschaft Bischofshagen an den gesetzlichen Anerben Johann Christoph Stickdorn,  2. dessen Verheirathung mit Anna Marie Ilsabein Heeper von der in der Bauerschaft Falkendiek Nr. 7 belegenen Stette und  3. die Bestimmung der Leibzucht für den Colonen Johann Friedrich Stickdorn unter der Bestimmung, daß der herkömmliche Weinkauf von 3 Reíchsthalern an die Domäinen – Receptur Vlotho erlegt werde.“ –

 

Die Trauung hat Pastor Weihe in Gohfeld in Voraussetzung der Genehmigung der Regierung schon am 29. September im Gohfelder Pfarrhaus vollzogen, die alleinige Verwaltung des Colonats tritt das junge Ehepaar Martini 1818 an. –

Dieser „Regierungswechsel“ ist dem Ottenshof zu großem Vorteil geworden. Nicht nur, daß der neue Besitzer den ihm übertragenen Acker bestens bewirtschaftet, sonder er pachtet und kauft zu seinen Grundstücken hinzu, was eben nur zu bekommen ist. Zäher Fleiß und äußerste Sparsamkeit ermöglichen es diesem „Mehrer des Hofes“, den mit gut 30 Morgen übernommenen Hofe am 11. März 1852 seinem Sohne Johann Heinrich Christoph Ottensmeyer mit rund 50 Morgen zu übertragen.

„Das ist echte westfälische Bauernart“