„Dem Hausherrn ward ein ander Haus bestellt!“

von
Heinrich Ottensmeier

 

Aus der Geschichte eines alten Bauernhofes in Bischofshagen

Und nun folge man mir zu einem alten Bauernhof in Bischofshagen. Zwar ist das im Mittelpunkt stehende Bauernhaus nur gut ein Dutzend Jahre später errichtet als das vorerwähnte, doch sprechen das Haus und das vorliegende Material vom Wohlstand eines größeren, eines dreispännigen Hofes.

Es ist der 30. Juni des Jahres 1871. Die strahlende Sonne meint es auch in den Nachmittagsstunden noch gut. Und sie hat nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht dazu, denn in wenigen Wochen beginnt die Erntezeit. Noch aber ist „Broaketuit“, die ruhige Zeit auf dem Bauernhofe seit eh und je. Aber von dieser beschaulichen Ruhe ist heute auf dem abseits von allem Verkehr liegenden Kämperhofe auf dem Hagen nichts zu merken. Selbst die junge, resolute Bäuerin läuft aufgeregt von der Deele zu den Ställen und wieder zurück zu den Stuben und Kammern, die sogar heute, am Alltag, mit weißem Sand in feinen Mustern bestreut sind.

Von den Fenstern der „Iutlucht“ aus sieht sie, daß sich vom „Alten Krug“ her zwei Männer, anscheinend Vater und Sohn, dem Hofe nähern. Das gerötete Gesicht der Bäuerin wird noch um einen Schein dunkler, und die Aufregung scheint sich beim Anblick dieser Männer noch zu verstärken. Es gibt auch keine Zeit zum Verweilen, denn eben fährt der bekannte Wagen des Vaters vom Poppensiek auf den Hof. Aber auch noch andere Männer haben sich vor der großen „Nihndüa“ zusammengefunden, begrüßen einander und unterhalten sich vom Wetter und von den Ernteaussichten. Besonders aber tritt immer wieder das große, neue, schwarz-weiß gefächerte Wohn- und  Wirtschaftsgebäude in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen und Unterhaltungen.

Ach, ja, da oben in den Eichenbalken über der großen Tür ist der eigentliche Grund ihres Hierseins eingegraben.

„Im jahre 1870 d. 23. Juli, haben die Eheleute Johann Heinrich Kemper und Christine Engel Kemper, Geborene Poppensieker, dieses Haus bauen lassen. – Aber dem Bauherrn ward ein ander Haus bestellt. Er wurde am 17. Juni aus diesem Fremden Lande abgerufen in die Ewigkeit.“

Und still sinnend lesen die Besucher, unter denen wir den Kreisgerichtsrat Stohlmann aus Herford erkennen, auch die Verse, die eine trauernde Witwe als Trostwort, aber auch als Mahnung für kommende Geschlechter, hatte einhauen lassen: „Eins ist Noth. Suche Jesum und sein Licht, a. a h. d. n. – Ich bin ein Mensch, und leiden müssen krenken, doch in der Noth an seinen Schöpfer denken, und im Vertrauen sterkt in den herbsten Schmerzen der Christen Herzen.“

Ja, der plötzliche Tod des jungen Bauern auf dem Kämperhofe vor Jahresfrist war die Ursache der heutigen Verhandlung, zu der nunmehr die Bäuerin ihre Gäste in die große Stube bittet.

Hier erfahren wir nun auch Einzelheiten über den Grund der Gerichtsverhandlung.

„ Die Witwe Colona Christine Louise Kämper, geborene Poppensieker, welche bei ihren Ehemann, den Colon Johan Heinrich Kämper, am 17. Juni v.J. durch den Tod verloren hat, will sich wieder verheiraten. Sie hat mit ihrem verstorbenen Ehemann in der herkömmlichen Gütergemeinschaft gelebt und muß deshalb mit ihren vier aus der Ehe hervorgegangenen Kindern, dem Zacharias Friedrich Wilhelm Kämper, geb. am 16. 4. 1861, der Anne Marie Wilhelmine Engel geb. am 16. 9 1864, dem Zacharias Heinrich Wilhelm, geb. am 13. 2. 1867, und dem Friedrich Wilhelm, geb. am 6. 11. 1869, schichten“

Zur Leitung der Abschätzung des zum gütergemeinschaftlichen Vermögen gehörenden Colonats und zur Aufnahme einer Schichtung also ist die Gerichtskommission erschienen. Anwesend sind außer dem Kreisgerichtsrat und der Schichterin, die im Beistand ihres Vaters, des Colon Friedrich Wilhelm Poppensieker, Bischofshagen Nr. 13, erschienen ist, noch der Zimmermann und Colonus Zacharias Kämper, Bischofshagen Nr. 101, als Vormund der minderjährigen Kinder, und der Ackersmann Friedrich Wilhelm Stümeyer, im Beistande seines Vaters, des Colonus Johann Heinrich Stümeyer, Bischofshagen Nr. 5, und „die ein für allemal für die heutigen Abschätzungen vereidigten Kreisgerichtstaxatoren Auctionskommissar Carl Cramer aus Herford und Colon Friedrich Wilhelm Schwarze aus Schwarzenmoor“

Die Schlichterin legt zunächst ein von den Kreistaxatoren aufgestelltes Verzeichnis über ihre Gebäude, ihr bewegliches Vermögen und über ihre Schulden vor und übergibt ferner den Güterauszug über die Grundbesitzanteile ihres Colonats.

Der Richter, die Taxatoren, der Vormund und die Beistandspersonen begeben sich jedoch zuerst auf das Feld, um vor der Festlegung des Wertes des Grundbesitzes die Güte des Bodens durch Graben zu prüfen.

Der Grundbesitz in Größe von 149 Morgen, 108 Ruthen, 68 Fuß wird mit 11 716 Reichstaler 1 Silbergroschen 4 Pfennig bewertet, der Wert des Inventars ist auf 8 494 Reichstaler 12 Silbergroschen 6 Pfennig festgesetzt. Dieser „aktiven Masse“ stehen 1 376 rt. 4 Sg. 10 Pfg. als Verbindlichkeiten gegenüber. Die verbleibende Summe von 18 834 rt. 9 Sg. steht zur Hälfte der Schichterin zu. Die andere Hälfte wird aufgerundet und mit je 2 400 Taler für die vier minderjährigen Kinder sichergestellt.

„Die anwesende Witwe Colona Christina Louise Engel Kämper, geborene Poppensieker, übernimmt und behält das von ihr zur Schichtung gezogene bewegliche und unbewegliche Vermögen als ausschließliches Eigentum, ist berechtigt, das Grundvermögen auf ihren Namen in das Hypothekenbuch umschreiben zu lassen und übernimmt sämtliche auf dem Vermögen haftenden Schulden und Verbindlichkeiten, bekannte und unbekannte, zur alleinigen Abtragung!“ Sie verpflichtet sich darüber hinaus, ihre Kinder, bis dahin, daß sich dieselben selbst ernähren können, in allem frei zu unterhalten und standesgemäß zu erziehen. Sie ist auch bereit, die Unterhaltung fortzusetzen, solange die Kinder im elterlichen Hause bleiben, behält sich aber auch die zinsfreie Benutzung der „Abdikate“ vor bis zu dem Tage, an dem die Kinder das elterliche Haus verlassen.

So weit ging es um die Sicherstellung der Kinder. Aber auch für das Alter muß gesorgt werden. Da sind die Eheleute Zacharias Kämper, Eltern des verstorbenen Besitzers, deren Lebensabend durch eine Leibzucht gesichert werden muß. Die Leibzucht, mit der der Hof belastet wird, besteht aus der freien Wohnung in dem neuen Kotten, in der Nutzung von 1 Morgen 2 Ruthen Gartenland, 11 ½  Morgen Ackerland und 1 Morgen Wiese. Das Ackerland muß vom Hofe frei bestellt und die Fruchteinfuhr sichergestellt werden. Dem Leibzüchter ist freier Brand zu stellen und ein Sechstel der gesamten Obsternte zu übergeben. Darüber hinaus hat er das Recht der freien Weide für eine Kuh. Die Belastung der Leibzucht für den Hof wird auf 108 Thaler jährlich abgeschätzt.

Als dann zu guter Letzt auch noch die Erbfolge des Kämperhofes insoweit geregelt ist, daß der noch nicht zweijährige Sohn der vorigen Ehe, Friedrich Wilhelm, und im Falle des vorzeitigen Ablebens, sein nunmehr vierjähriger Bruder, Zacharias Heinrich Wilhelm, als Universalerbe eingesetzt ist, steht der Heirat der Witwe Colona Christine Louise Engel Kämper. geb. Poppensieker, mit dem Ackersmann Friedrich Wilhelm Stümeyer nichts mehr im Wege

Als nach getaner Arbeit die Bäuerin die Gäste zum „Nachmisse“ einlädt, läßt sich niemand lange nötigen. Und sowohl die Landleute wie die Stadtleute tun dem saftigen Schinken und der dicken Wurst, aber auch dem selbstgebackenen Brot und der frisch gekirnten goldgelben Butter alle Ehre an. Die Erzeugnisse des Hofes legen darüber hinaus beredtes Zeugnis ab für die Tüchtigkeit der Bäuerin, deren Kinder und Enkel aus beiden Ehen die Tüchtigkeit und den guten Ruf weitergetragen haben auf zahlreiche Bauernhöfe zwischen Wiehen und Teutoburger Wald bis zum heutigen Tage.

Wir aber wollen uns nun die Zeit nehmen, um die sachlichen Verhältnisse eines größeren Bauernhofes eingehend kennen zulernen und

„Inventarium cum Taxa

über das Vermögen der Witwe Colona Christine Louise Engel Kämper,  geborene  Poppensiesieker, zu 3 in Bischofshagen.

Aufgenommen und taxiert durch die ein für allemal vereideten Gerichts-Taxatoren Colon Schwarze in Schwarzenmoor und Auctionskommissar Cremer in Herford am 28./29. Juny 1871.“

Tit.  I  An Immobilien

1. Das Wohnhaus ist 100 Fuß (31,4 Meter) lang, 50 Fuß breit und 12 Fuß bis zum Dachgebälk hoch, aus 20 Gefach aus Fachwerk erbaut, mit Ziegel über Strohdocken gedeckt. Der Dachboden ist mit losen Dielen belegt, die Dachgiebel sind mit Dielenverschlag versehen. die innere Einrichtung besteht

a)  oben im Kammerfach aus einer Stube und drei Kammern, darunter ein ausgemauerter   Keller, Flur und Küche. Oberhalb befinden sich vier Bühnen, wovon eine mit Dielen beschossen, die übrigen mit Windwerk versehen, außerdem eine Rauchkammer,

b)  unten im Haus drei Kammern und verschiedenen Stallungen und  einem  geräumigen  Flur (Deele).

Das Haus hat 5000 Quadratfuß bebaute Fläche, hat einen Werth von 3750 Thalern und befindet sich in einem guten Zustande.

2.  Das Leibzuchthaus ist 32 Fuß lang, 33 Fuß breit und 12 Fuß hoch, aus Fachwerk und mit Ziegel über Strohdocken gedeckt. Der Dachboden ist mit Dielen belegt und der Giebel mit Dielenverschlag versehen. – Die innere Einrichtung besteht aus einer Stube und drei Kammern, einem Stall, Flur (Deele) und einem Keller unter der Kammer. Er hat 1056 Quadratfuß bebaute Fläche und hat einen Werth von 500 Thalern. Baulicher Zustand mittelmäßig.

3.  Der Schoppen ist 48 Fuß lang, 33 Fuß breit und 10 ½  Fuß bis zum Dachgebälk hoch, aus acht Gefach bestehend, aus Fachwerk erbaut und mit Ziegel und Strohdocken gedeckt. Der Dachboden ist mangelhaft mit Dielen belegt und die Giebel mit Dielenverschlag versehen. Die innere Einrichtung besteht aus Werkstube, Kammer und Stallungen, hat 1584 Quadratfuß bebaute Fläche und hat einen Werth von 600 Thalern. Der bauliche Zustand ist mittelmäßig.

4.  Der Schafstall ist 36 Fuß lang, 30 Fuß breit und 10 ½  Fuß bis zum Dachgebälk hoch, massiv erbaut und mit Dachziegel und Strohdocken gedeckt. Der Dachboden ist mangelhaft mit Dielen belegt und die Giebel mit Dielenverschalung versehen, hat 1080 Quadratfuß bebaute Fläche und einen Werth von 270 Thalern. Er ist in einem guten baulichen Zustand.

5.  Der Kotten außerhalb des Hofes ist 35 Fuß lang, 35 Fuß breit und 11 Fuß hoch. Er ist ringsum massiv und inwendig Fachwerk, mit Ziegel und Strohdocken gedeckt. Die Giebel mit Dielenverschalung versehen. Die innere Einrichtung besteht aus zwei Stuben, zwei Kammern und vier Ställe. Der Boden ist mit Dielen belegt. Unter beiden Stuben befindet sich je ein Kellerraum. Er hat 1225 Quadratfuß bebaute Fläche und einen Werth von 740 Thalern.

6.  Das Backhaus auf dem Hofe ist 18 Fuß lang, 24 Fuß breit und 9½ Fuß bis zum Dachgebälk hoch. Es ist aus Fachwerk erbaut und mit Ziegel auf Strohdocken gedeckt. Die Giebel sind mit Dielenverschlag versehen. Es hat drei Gefach. Die innere Einrichtung besteht aus Stube, zwei Kammern, Flur (Deele) und Backofen. Der Boden ist mit Dielen belegt. Er hat 432 Quadratfuß bebaute Fläche und einen Werth von 60 Thalern. Er befindet sich in einem mäßigen baulichen Zustande.

7.  Für die Einfriedung des Hofes 60 Thaler.

8.  Der Wasserbrunnen, cirka 30 Fuß tief und mit Einfassung 25 Thaler

9.  Für Hochholz auf den Colonatgründen, sowie für die Obstbäume auf  dem Hofe  215  Thaler.

Summa Tit. I      6 220 Thaler