Die Zeit überrollte alte Legate

von
Heinrich Ottensmeier

 

 Die Armen von Bischofshagen und Falkendiek wurden im Bauerntestament bedacht

Wir schreiben den 30. September 1885. Auf den abgeschiedenen „Höfen“ am „Brömkensbach“ scheint eine gewisse Unruhe eingedrungen zu sein. Der Große Reiserbesen hat auch auf der gewaltigen Deele ganze Arbeit geleistet, und in der Stube wird heute sogar statt des sonst üblichen grauen Sandes weißer Sand gestreut. Da ist also hoher Besuch zu erwarten. Aber die Bäuerin selbst ist nicht zu sehen. Sie liegt nebenan in der großen Schlafkammer in ihrem Himmelbett. Sie, die Witwe Anna Marie Louise Nagel, geb. Eimterbäumer, fühlt, daß es im Hinblick auf ihr Alter und auf ihren augenblicklichen Gesundheitszustand geraten ist, das „Haus zu bestellen“. Sie hat als die kinderlose Witwe des verstorbenen Besitzers, mit dem sie in der Minden-Ravensberger Gütergemeinschaft gelebt hat, bereits im Jahre 1882 über ihre Liegenschaften verfügt, aber es ist doch gut, wenn man eben in jeder Hinsicht „beizeit sein Haus bestellt“, Insbesondere gilt es, jetzt auch über das noch vorhandene Barvermögen zu verfügen, um nicht Schuld an häßlichen Erbauseinandersetzungen zu sein. Und so erscheint nun auf ihren Wunsch heute der Amtsrichter Roesler vom Amtsgericht Bad Oeynhausen mit seinem Gerichtsschreiber Loer auf dem Nagelschen Hofe, um die letztwillige Verfügung amtlich festzulegen.

Es kann hier nicht der Ort sein, wiederzugeben, in welch feiner und individueller Weise sie versucht, allen näheren und weiteren Verwandten gerecht zu werden. Wir wollen auch nicht untersuchen, ob die gewissenhaften Überlegungen und die gefällten Entscheidungen allseitige Zustimmung gefunden haben. Aber den guten Willen muß man der Erblasserin auf jeden Fall bescheinigen. Aus dieser privaten letztwilligen Verfügung aber müssen wir drei Punkte herausheben, weil Interessen und Auswirkung dieser Bestimmungen über den Rahmen der Familie und Sippe hinausgehen. Diese Bäuerin fühlt sich auch für das Wohl der Armen und Kinder der Nachbarschaft und der Gemeinde verantwortlich.

Der Besitz der Witwe Nagel gehört zur Gemeinde Gohfeld, Bauerschaft Bischofshagen, kirchlich aber ist der Hof wie die benachbarte Gemeinde Falkendiek von alters her der Gemeinde Stift Berg bei Herford zugeteilt. So besuchen denn die Kinder des Hofes auch die Schule in Falkendiek (bis 1910). Dieser eigenartigen Situation des „Höfen“ eingedenk, errichtete Frau Nagel ein Legat von 900 Mark für die Armen der Bauerschaft Bischofshagen und ein Legat in gleicher Höhe für die Armen des Schulbezirkes Falkendiek. Diese Legate sollen verzinslich angelegt werden. Die Legate sollen, so bestimmt die Erblasserin, alljährlich am 9. Juli, dem Geburtstag ihres verstorbenen Mannes, durch den jeweiligen Hofbesitzer, den Vorstehern der beiden Bauerschaften und je einem Gemeinderat dieser Bauerschaften an arme oder vom Unglück betroffene Angehörige dieser beiden Bezirke nach bestem Ermessen der Verteiler vergeben werden.

Ein drittes Legat in Höhe 1200 Mark wurde für die Schule in Falkendiek eingerichtet. Die Zinseinkünfte dieses Kapitals sollen zur Bezahlung des Schulgeldes der Kinder der auf dem Nagelschen Kolonate wohnenden  Heuerlinge, und „zwar zu gleichen Teilen nach Maßgabe der vorhandenen Kinder“ verwendet werden. Wenn in dieser Weise einmal keine Verwendung für die Zinsen vorhanden sein sollte, so sollen die Zinsen solange zum Kapital geschlagen werden, bis wieder schulpflichtige Heuerlingskinder vorhanden sind.

Das sind die Verfügungen einer verantwortungsbewußten Bäuerin! Noch keine 75 Jahre sind  seit der Zeit verflossen! Wo sind die Legate geblieben? – Wahrscheinlich sind sie der Inflation nach dem ersten Weltkriege zum Opfer gefallen. Möglicherweise ist aber das Legat für die Schule in Falkendiek schon im Jahre 1910 aufgelöst worden, da in Auswirkung des Neubaues der Straße Bischofshagen-Schweicheln von diesem Zeitpunkt an das Gastschulverhältnis mit Falkendiek gelöst wurde und die Kinder vom Hofe Bischofshagen Nr. 1 die Schule in Bischofshagen besuchten.

Dieser Vorgang auf dem größten Hofe der Bauerschaft Bischofshagen schein schon einen „Ahnen“ gehabt zu haben. In dem alten Höferegister der Bauerschaft Bischofshagen aus dem Jahre 1683 finden wir für den Hof Nagel unter den „wiederkehrenden Geldgefällen“ 2 Thaler und 18 Groschen als „Schenkgeld als Zins von 50 Thalern“ eingetragen. Zweck und Begründung dieses Schenkungsgeldes sind leider nicht vermerkt.

Heinrich Ottensmeier
aus der Jubiläumsfestschrift „300 Jahre Schule Bischofshagen“ 1960