Der Hoferbe verschollen in Spanien

von
Heinrich Ottensmeier

 

 Ehevertrag aus der Zeit des Königsreichs Westfalen – Aus der Heimatgeschichte

Die Frühlingssonne des entscheidungsfrohen  Jahres 1813 liegt wärmend über dem Werretal, doch will der Bann, der auf den Herzen der Einwohner liegt, sich auch in diesem Jahr nicht recht lösen.

Wohl laufen in den letzten Tagen wieder Nachrichten von Haus zu Haus, von Hof zu Hof, die die fast verglimmenden Hoffnungsfunken auf eine Befreiung der Heimat und auf eine Wiedervereinigung von West und Ost wieder aufleben lassen, aber wie oft schon wurden diese Funken in den letzten Jahren schon gänzlich zertreten. Und darf man wirklich ernstlich die endgültige Befreiung herbeisehnen? Ohne größtes Blutvergießen wird sie nicht zu erreichen sein! Und was heißt das für die Minden-Ravensberger? Ihre Herzen stehen auf der Seite Restpreußens und seiner Verbündeten, ihre Söhne aber im Heer Napoleons und seines Bruders, des Königs von Westfalen! Ja, da kann der Frühlingsglaube keinen festen Fuß fassen! Und wie viele Opfer an Gut und Blut forderten schon die verflossenen Jahre! Wie viele Westfalensöhne folgten gezwungen den fremden Fahnen, ohne daß man je wieder etwas von ihnen hörte. Verschollen, vermißt, in Rußland, in Spanien!

 

Aus einer alten Urkunde läßt sich ersehen, wie die Schicksale der damaligen Zeit auch auf das Familienleben und die Höfeordnung unserer engsten Heimat sich entscheidend auswirkten. Ein Ehevertrag aus jener Zeit, der die Besitzung Kleimeier, Bischofshagen Nr. 50, betrifft, ist in mehr als einer Richtung hin aufschlußreich und interessant. Aber die vergilbten Blätter mögen einmal selbst reden.

 

„Wir, Hieronymus Napoleon, von Gottes Gnaden, und durch die Constitution König von Westfalen, Französischer Prinz: Allen Gegenwärtigen und zukünftigen Unsern Gruß zuvor! Thun hiermit kund:

Vor dem unterzeichneten für den Kanton Vlotho im District Bielefeld des Fulda-Depatements angeordneten und in der Stadt Vlotho wohnhaften Königlichen Notar Johann Christian Ludwig Rahne und in Gegenwart zweyer gesetzlich qualifizierter und zu Vlotho wohnhafter Zeugen, des Schuhmachers Andreas Ludwig Blum, und des Schuhmachers Adolf Schemel: Sind erschienen, der Ackersmann Johann Heinrich Kleymeyer, Tischler und Wagenmacher in der Commune Bischofshagen wohnhaft, einer Seits, anderer Seits Anna Marie Engel Held, wohnhaft sub numero Fünf in der Commune Melbergen, welche beide großjährig, erklärt haben, daß sie sich ehelich miteinander verbinden wollen. In Beziehung auf diese Ehe haben beide Verlobten unter Mitwirkung des persönlich gegenwärtigen Coloni Johann Diedrich Held, Vaters der Braut, zu Melbergen wohnhaft, nachstehenden Ehevertrag entrichtet.

Artikel Eins.

Es soll in der künftigen Ehe eine vollkommene Gütergemeinschaft sowohl in Ansehung des beweglichen jetzigen und zukünftigen Vermögens beider Theile stattfinden und jeder Theil soll für die von dem andern Theil vor und während der constrahirten Schulden solidarisch verhaftet seyn.

Artikel Zwei.

Das Vermögen des Bräutigams besteht in seiner Leibwäsche, seinen Kleidungsstücken, Handwerkszeug, und dem Anerbenrecht der elterlichen Kleymeyerschen Stette sub numero Fünfzig zu Bischofshagen, welches ihm auf den Fall gebührt, wenn der geborene Anerbe der Stette Namens Carl Friedrich Kleymeyer, welcher als wehrpflichtiger Soldat nach Spanien gekommen ist, daselbst umgekommen sein soll, wie man deshalb zu vermuthen berechtigt ist, weil seit vier Jahren keine Nachrichten von ihm zu seinen Verwandten gelangt sind. Der Bräutigam ist ältester Bruder des geborenen Anerben Carl Friedrich Kleymeyer und aus der selben Ehe, des vorigen rechten Besitzers der Kleymeyers Stette Namens Johann Daniel Kleymeyer und dessen erster Frau Anna Kathrine Ilsabein gebohrenen Knops, geboren, und da außer ihm keine weiteren Geschwister aus dieser ersten Ehe vorhanden sind: so wird das eventuelle Anerbenrecht des Bräutigams hierdurch begründet.

  Artikel Drey.

Das Vermögen der Braut besteht in Demjenigen, was der Vater derselben zum Brautschatz, nehlich zur Abfindung von seinem Colonat zu geben verspricht, nehmlich

1. an baar Einhundert zwei und Achzig Franken Zwei und Sechszig Centimen (Fünzig Taler) wovon ein Fünftel zur Hochzeit und der Rest in jährlichen Terminen von ein Fünftel jedesmahl zu Weihnachten enrichtet weden soll.

2. einen mittelmäßigen Brautwagen mit allen nach der Ortsgewohnheit dazugehörigen Betten, Mobilien, Hausgerätschaften und Naturalien, namentlich mit Sechs Himten Rocken und Sechs Himten Gerste, welche zu Michaelis Achtzehnhundert Vierzehn abgeliefert werden soll.

3. Eine Kuh, welche im Herbst dieses Jahres, und ein Rind, welches binnen drey Jahren abgeliefert werden soll, desgleichen zwey Schweine, welche binne drey Jahren gleichfalls abgeliefert werden sollen.

4. ein Ehrenkleid zur Hochzeit, und

5. den Weinkauf zum künftigen Antritt der Kleymeyers Stette.

Dieses Versprechen wird von den Brautleuten bestens acceptiert, und sie erkennen an, daß sie durch die Erfüllung desselben von dem Heldschen Colonat vollständig abgefunden werden.

 Artikel Vier.

In Hinsicht künftiger Todesfälle wird hierdurch festgesetzt, daß der Überlebende von beiden Eheleuten, das ganze Vermögen des Verstorbenen, mithin dessen Antheil an der Gütergemeinschaft allein erben und eigenthümlich behalten soll, mit Vorbehalt der Erbrechte der Kinder aus der künftigen Ehe, welche den Pflichttheil von dem Vermögen des Verstorbenen empfangen soll.“

Die Besitzung Kleimeier ist von Geschlecht zu Geschlecht weitervererbt worden und noch heute im Besitz der Urenkel der damaligen Vertragschließenden. Von dem in Spanien Verschollenen einstigen Anerben Carl Friedrich Kleymeyer ist nie mehr ein Lebenszeichen in seine Heimat gelangt.

Heinrich Ottensmeier
aus der Jubiläumsfestschrift „300 Jahre Schule Bischofshagen“ 1960