Ein Bahnhof wurde „legitim“

von
Heinrich Ottensmeier

 

 Als es noch keinen Bahnhof Löhne gab – Die Stadt Löhne hat zwei Bahnhöfe

Mit der Bildung der Stadt Löhne aus den fünf Gemeinden Gohfeld, Löhne, Obernbeck, Ulenburg und Mennighüffen wurde auch der Bahnhof Löhne mit dem 1. Januar 1969 „legitim“. seit mehr als 120 Jahren hat der Bahnhof, der in der Gemeinde Gohfeld, Bauerschaft Bischofshagen, lag, mit seinem Namen avantgardistisch das Banner der Stadtwerdung Löhne getragen, und der Begriff „Löhne umsteigen“ ist sogar über Karl Maria Remarques Buch „Im Westen nichts Neues“ in die Weltliteratur eingegangen. Wenn sich auch schon immer in Löhne nicht nur das „Umsteigen“, sondern besonders auch das Aussteigen und Verweilen lohnte, so darf man die Aufforderung zum Besuch in besonderer Weise auf die neue Stadt Löhne in Gegenwart und Zukunft beziehen.

Es war eine Eigenart des Bahnhofes Löhne, daß er gar nicht in Löhne lag. Er wurde, wie bereits angedeutet, auf dem Grunde der Gemeinde Gohfeld, Bauerschaft Bischofshagen, erbaut. Die Ursache liegt darin, daß der ursprünglich für Löhne geplante Bahnhof weiter nach Osten und damit auf das Gebiet der Bauerschaft Bischofshagen verlegt wurde. Der einmal vorgesehene und aktenmäßig festgelegte Name „Löhne“ wurde jedoch beibehalten. Bei der Bildung der Stadt Löhne brachte die Gemeinde Gohfeld auch den Bahnhof Löhne mit in die neue „Großfamilie“ ein und verhalf damit dem bekannten Eisenbahnknotenpunkt zu seiner „Legitimation“.

Der Bahnhof, zunächst im Volksmund als „Poppensieks Bude“ bezeichnet, wurde die Ursache zur Bildung eines neuen Ortes, der besonders dann starken Auftrieb erhielt, als Löhne nach dem Bau der Osnabrücker (1855) und der Hamelner (1875) Eisenbahnlinien zu einem bedeutenden Eisenbahnknotenpunkt wurde. Der nördliche Teil der Bauerschaft Bischofshagen wurde zu „Löhne Bahnhof“.

Im Folgenden soll hier nun der Versuch gemacht werden, ein Bild von den Verhältnissen in Löhne Bahnhof zu entwerfen, als es noch kein „Löhne-Bahnhof“ gab, als „Mahnen“ und „Poppensiek“ noch bei jedermann als Bischofshagen galten.

Dort, wo sich jetzt die ausgedehnten Anlagen befinden, dort, wo die Siedlungen am Poppensiek und an der Janstraße fast einen Stadtteil für sich bilden, lag ehedem der Hof Poppensieker, Bischofshagen Nr.13 („Ubbn Poppensuike“). Wiederholt mußte der Hof der Eisenbahn und dem Bahnhof ausweichen und in südlicher Richtung verlegt werden. Der Hof (Besitzer war die Familie Bobbert) war im Jahre 1683 im Besitz des „dem Ambt (Hausberge) Eigenbehörigen Köthers (Kötters) Claus itzo (jetzt) Johann Poppensieker“. Er hatte dem Amte Hausberge, dem die Vogtei Gohfeld und damit auch die Bauerschaft Bischofshagen angehörte, folgende Abgaben zu machen: An Zinskorn: 8 Scheffel Roggen und 20 Scheffel Hafer; an Vieh: 1 Mastschwein oder 18 Groschen, 1 Gans und 1 Rauchhuhn; an Dienstgeld: 18 Groschen Sommer- und 18 Groschen Winterdienstgeld; an allerhand kleinen Geldgefällen: 1 Groschen Pfingst-, 1 Groschen Michaelisschatz, 1 Groschen Oster- und 4 ½ Groschen Zuschlagsgeld. An Diensten hatte er zudem wöchentlich einen Tag „mit der Hand“ (Handdienst) zu leisten oder dafür jährlich drei Taler zu entrichten.

Da wir in den weiteren Ausführungen neben den Handdiensten auch auf die Spanndienste zu sprechen kommen, sollten hier aus den „Verzeichnissen der freyen Hand- und Spanndienste, Ambts Hausberge“ vom Jahre 1680 die hierfür maßgeblichen Richtsätze wörtlich angeführt werden:

„Wo Spanndienste seyn schuldig in allen wohin sie bestellt werden, mit dem selben Geschirr, womit sie ihre eygene Arbeit verrichten, mit Wagen und Pflügen, Sommers von Lichtmess bis Michaelis, daß Morgens umb 6 Uhr Zur stelle Zu sein. Und Abendts nach 6 Uhren Wiederrumb ab zu ziehen .Winters Zeit aber Von Michaelis bis Lichtmessen Morgens umb 8 Uhren an zu kommen und Abends um 4 Uhren Wiederumb ab Zu ziehen.

Köttern seien umb selbige Zeit gleicher gestalt schuldig, durch starke Mans versehen Ihre Handtdienste, wozu sie mit Sensen Axten, schueten, bardten oder Wie es nahmen haben mag, bestellt worden, Ihre Dienste zu Verrichten. Wie auch nicht Weniger die Brinksitzer Ihre Handdienste mit Harken, Axten, schueten, bardten  und Forken durch Manspersonen zu prästieren (leisten), schuldig. Wo aber Witwen seyn, wird ein Magd oder Frauensperson paßiert (anerkannt), indeß aber solcher gestalt, daß dieselben die Dienste Verrichten können, und werden die Brinksitzer mit keinen Senßen bestellt.“

Der Kötter Johann Poppensieker bewirtschaftete im Jahre 1683 ein Fläche von insgesamt    79 ¾ Morgen, 14 Ruthen, 5 Fuß, wovon 71 3/8 Morgen als Saatland, 4 7/8 Morgen, 6 Ruthen als Wiesen, 5/8 Morgen als Gartenland und 2 5/8 Morgen als Busch genutzt werden.

Der Nachbar von Johann Poppensieker wohnt ebenfalls „auf dem Poppensieke“, und heißt entsprechend auch Poppensieker. Da sein Besitz wesentlich kleiner ist, wird er eben „der lüttke Poppensieker“, später auch Hauert (Hebbat) genannt. Vielleicht deutet der Beiname „Hauert“ auf das Schlachterhandwerk hin. Es darf weiter angenommen werden, daß es sich bei dem „lüttken Poppensieker“ um eine erste Abtrennung vom Hofe des „großen Poppensiekers handelt.

Während der Poppensieker von 1847 an den Grund und Boden für den Bahnhof zu stellen hatte – selbst das alte Postgebäude an der Bünder Straße wurde von Heinrich Poppensieker errichtet und der Post zur Verfügung gestellt – mußte die Gemarkung „Mahnen“, ebenfalls von der Eisenbahn durchschnitten, weiteres Gelände für die Bebauung liefern. In diesem Zusammenhang sei auch auf das jüngste Industriegelände in Mahner Feld hingewiesen. Es läßt sich zwar heute keine scharfe Grenze mehr zwischen den beiden Nachbarschaften „Poppensiek“ und „Mahnen“ ziehen, doch wird sie im wesentlichen von der Königstraße gebildet.

„Mahnen“, der Flurname wird von der im Jahre 1895 aus der Kirchengemeine Gohfeld ausgepfarrten Kirchengemeinde am Bahnhof Löhne sinnvoll weitergeführt, gehört zu den ältesten Siedlungen unserer Heimat überhaupt. Die höher gelegenen Ufer der Werre mußten geradezu zur Besiedlung herausfordern. Diese Annahme wird noch durch den Nachweis der Eschflur im Mahner Feld bestätigt. Der Name „Mahnen“ ist mit unserem Wort Gemeinde verwandt und bedeutet soviel wie Allgemeingut. Mahnen wird bereits im Jahre 1151 urkundlich erwähnt (Westfälisches Urkundenbuch). Damals hatte das Marienstift auf dem, Berge bei Herford (Stift Berg) hier Grundbesitz.

Wir nehmen nun aus der Reihe der auf dem hohen Werreufer liegenden Mahner Höfe zunächst die Halbspannmeierhöfe heraus, da es sich bei ihnen wohl um die ältesten Höfe der Siedlung handeln dürfte. Wie wir schon andeuteten, hatten ihre Besitzer den Grundherren ihre Dienste mit dem Gespann zu leisten, wärend die Kötter und Brinksitzer Handdienste tun mußten. „Frantz, vorhin Lüdecke zu Mahnen“, später Lükensmeier, Bischofshagen Nr.4  (jetzt Windmann am Mühlenbach), ist als Halbspänner verpflichtet, dem Amte wöchentlich zwei Tage mit dem halben Gespann Dienste zu leisten oder dafür jährlich 5 Taler zu entrichten. Er nannte gut 66 Morgen sein Eigentum.

Unter der Nummer 6 des Höferegisters wird „Claus, itzo Heinrich zu Mahnen, als ein dem Ambt Eigenbehöriger Halbspänner“ aufgeführt (Reinkensmeier Nr. 8, Oeynhauser Straße). Bei der Aufstellung der Ländereien fällt hier die Größe der waldwirtschaftlich genutzten Fläche auf. Von der Gesamtfläche des Hofes mit 86 1/8 Morgen sind 9 ¾ Morgen als Busch bezeichnet. – Und wo ist Reinkensmeiers Busch geblieben? In diesem Zusammenhang sei darauf  hingewiesen, daß wir auf Reinkens Hofe das älteste Haus der Bauerschaft Bischofshagen finden. Das alte Leibzuchthaus ist ein Zeuge, der noch weiter zurück als die erwähnten Höferollen zurückberichten kann. Der Türbogen trägt die Inschrift: LISEBET ZV MAHNEN ANNO 1669 + WER GOTT VERTAVT HAT WOHLGEBAVT IM HIMMEL VND AVF ERDEN + JESU MEINE LIEBE + O GOT DIS HAVS BEWAR + FVR DONNERSCHLAG VND FEVERSGEFAR + M: HERM: KONIG:“

Das jetzige Wohn- und Wirtschaftsgebäude konnte bereits im Jahre 1969 das 200jährige „Dienstjubiläum“ begehen: „JOHANN PEITER REINKENSMEIER UND LEAWISE SOPHIA NOLTINGS DIE HABEN DIS HAUS BAUERN LASSEN IM JAHR 1769 den 10. JUNIUS.“

 

Bei „Rolf Brosius zu Mahnen itzo Christian“ (jetzt Rolfsmeier, Bischofshagen Nr. 6, Oeynhauser Straße), liegen die Verhältnisse genau so wie bei seinem Nachbarn Reinke, nur ist sein Hof mit 63 3/8 Morgen, 11 Ruten, 6 ½ Fuß etwas kleiner. Auch er dient wöchentlich zweimal mit dem halben Spann oder gibt 5 Taler. „Wenn er ins Register gedungen thut er jährlich 3 frey Dienste und 1 Ausländische Reise oder 2 Taler“.

 

„Hans, itzo Heinrich Lüdecke“ (später Johannsmeier, jetzt Hagemeier, Bischofshagen Nr. 20, Oeynhausener Straße), hat dem Amt Hausberge wöchentlich drei Tage mit der Hand zu dienen oder dafür jährlich drei Taler zu entrichten. Der Name „Lüdecke“ läßt vermuten, daß es sich hier um eine Abzweigung von dem obenbehandelten Höfe Lückensmeier handelt.

Der ebenfalls dem „Amt eigenbehörige Kötter Cord, itzo Albrecht Volle“ (jetzt Schmidt, Bischofshagen Nr. 41, am Mühlenbach), hat 30 7/8 Morgen Saaatland, 4 ½ Morgen Wiesen und ¾ Morgen Gartenland. Er dient ebenfalls zwei Tage mit der Hand und hat neben den kleinen Geldgefällen 2 Scheffel Roggen, 22 Scheffel Hafer, ein Mastschwein oder ½ Taler, eine Gans und ein Rauchhuhn zu liefern.

„Engelke, itzo Hermann Bachemeier, ist dem Drost Vreden Leibeigen, giebt ans Amt nichts.“ Warum dieser Hof in Größe von 41 ¾ Morgen, 9 Ruthen, 9 ½ Fuß als einziger Hof der Bauerschaft Bischofshagen dem Drosten Wrede eigen ist, und nicht dem Amt Hausberge, läßt sich nicht feststellen. Dieser Hof (Besitzer Pahmeier, genannt Engelkensmeier, Bischofshagen Nr. 41, Oeynhausener Straße), hat in jüngerer Zeit durch den Verkauf seiner Ländereien an die Gemeinde Gohfeld die Ausdehnung der Ortschaft Löhne-Bhf. nach Nordosten ermöglicht.

Die kleinsten Höfe sind die Brinksitzer. Die Gemarkung Mahnen hat deren zwei, wenn wir den Hof Abke zum Schierholz rechnen. „Claus, itzo Friedich Hindebrand, ein dem Amt eigenbehöriger Brinksitzer“ (jetzt Hildebrand, Bischofshagen Nr 24, Schierholzstraße), hat 15 ¾ Morgen Besitz. Es ist nicht ausgeschlossen, daß dieser Hof von Reinkensmeyers Hof abgezweigt ist. 

Ein ganz kleiner Brinksitzer ist „Lüdekens, itzo Bringt Jürgen“ (später Brinkmann / Reckefuß, Bischofshagen Nr. 49, Oeynhausener Straße). Vielleicht war dies die Leibzucht von Lükens Hof, denn der gesamte Grundbesitz besteht in einem Garten von 1/8 Morgen Größe.

Wenn wir schon in Versuchung waren, „Brinkjürgen“ als den kleinsten Besitzer anzusprechen, so bringt uns „ Hermann uf der Armöde“ zu anderer Überzeugung. Er hat auf dem Geländer der Armöde (der Name spricht für sich!), der allgemeinen Hude, sein Häuschen erbaut, verfügt aber sonst über keinerlei Grund und Boden.

Hermann auf der Armöde darf aber für sich den Ruhm in Anspruch nehmen, der Begründer des Löhner Gaststättengewerbes zu sein und schon vor mehr als 2½ Jahrhunderten die Entwicklung Bischofshagen, Mahnen, Löhne-Bhf. vorausgeahnt zu haben. Außer dem „Kruggeld“ von drei Groschen verlangte das Amt nur noch vier Groschen Zuschlagsgeld von ihm. Der Name „Armuth“ (jetzt Bischofshagen N. 46, Schierholzstraße) ist geblieben, doch soll damit nicht gesagt sein, daß die Armut geblieben ist.

Die hier geschilderten Besitzverhältnisse aus dem Jahre 1683 hatten sich ohne wesentliche Änderungen bis zum großen Umschwung, der durch den Bau der Eisenbahn vor mehr als 150 Jahren erfolgte, erhalten. Der neue Ort um den Bahnhof setzte unentwegt seine Entwicklung fort, stets gewillt, auch noch weitere viele Jahrhunderte alte Höfe sich und seinen Bedürfnissen dienstbar zu machen. Jetzt ist er über das Zentrum des Amtes Löhne hinweg zur „Metropole“ der neuen Stadt geworden.

Heinrich Ottensmeier
aus „Waldbühne Wittel – Sommerprogramm 1970“