Der Wittel stellt sich vor

von
Heinrich Ottensmeier

 

Es ist für den Alteingesessene nicht immer leicht, für den Ortsfremden aber fast unmöglich, sich in den verwaltungsmäßigen und sonstigen Verhältnissen unserer Gegend zurechtzufinden. Wer aber oben auf dem Wittel in der Nähe des Gemeindehauses steht und sich nach den örtlichen Verhältnissen erkundigt, muß erfahren, daß das Witteler Pfarrhaus und der Kirchsaal in Bischofshagen stehen, daß der Grundnachbar zur Rechten aber in Jöllenbeck wohnt. An der Einmündung der Löhner Straße (Häger Straße) in die Bundesstraße 61 liegen drei Häuser unmittelbar nebeneinander, das Haus Bischofshagen Nr. 10, Depenbrock Nr. 35 und Jöllenbeck Nr. 281. Man befindet sich hier aber in dem Ort Wittel, den es eigentlich garnicht gibt. Diese „Aufklärung“ bewirkt bei einem Ortsfremden natürlich, daß auch der letzte Rest von Klarheit beseitigt ist.

Hier an den Quellen des Sudbaches, der alten Jöllenbecke, liegt also die kleine Ortschaft Wittel, ehedem, wie der Name andeutet, ein bedeutungsloses Wald- und Heidegelände. Ohne besondere Bedeutung blieb dieses Fleckchen Erde auch bis zum Jahre 1800, als Freiherr vom und zum Stein die Köln-Mindener Straße, die jetzige Bundesstraße 61, erbauen ließ. Aber auch danach blieb der rein ländliche Charakter noch etwa ein Jahrhundert lang erhalten, der auch heute nur in der Nähe der Straße durch dichtere Besiedlung eine Änderung erfahren hat. Die vorletzte Jahrhundertwende ist auch die Geburtszeit des Witteler Kruges, dessen erster Besitzer Johann Heinrich Tiesmeyer war. Er wurde mit der Stelle des Chausseegeldeinnehmers auf dem „Jöllenbecker Wittel“ erstmalig betraut und betrieb nebenher eine Schmiede und einen Krug, den „Thieskrug“, der sich zu der heutigen Bedeutung des „Witteler Kruges“ ausgewachsen hat

Aber vom „Wittel“ war bis zum Jahre 1876 kaum die Rede. Der Name „Wittel“ kam aber zu Ehren, als in jenem Jahre die Gemeinde Gohfeld hier in ihrem südlichsten Teil eine neue Schule erbaute, an der alle vier Bauerschaften, Bischofshagen, Jöllenbeck, Depenbrock und Melbergen, beteiligt waren. Um niemanden zu bevorzugen oder zu benachteiligen, brauchte man einen Oberbegriff, und da holte man den alten Flurnamen hervor und erhob ihn zur Bezeichnung des neuen Schulbezirks.

Im Jahre 1899 fand der Begriff Wittel eine Festigung und Erweiterung. Die Kirchengemeinde Gohfeld bildete hier einen neuen Pfarrbezirk, der sich zu einem besonderen Kirchspiel auswuchs. Das Kirchspiel Wittel umfaßt neben dem gleichnamigen Schulbezirk auch Teile der Nachbarschulbezirke Bischofshagen und Melbergen-Süd; kirchlich ist also der Begriff weiter als schulisch. Ende der 50.er Jahre war es drauf und dran, daß sich der Begriff „Wittel“ hätte noch einer Wandlung unterwerfen müssen, als man ernstlich überlegte, ob es nicht im Interesse einer bestmöglichen Schulausbildung liege, die beiden Schulbezirke Bischofshagen und Wittel zu vereinigen. Aber „da wallte dem Witteler auch sein Blut“, sie lehnten in einer geheimen Volksabstimmung mit großer Mehrheit den Vorschlag ab und verlangten die Ausführung des geplanten Neubaues, da das im Jahre 1908 erbaute zweite Schulgebäude baufällig ist und auch sonst den neuzeitlichen Ansprüchen in keiner Weise  genügt. Die Schule diente von 1900 bis 1904 auch als Kirchsaal. Viele Jahre hat die Glocke vom Turm der Schule zum Gottesdienst im Gemeindehaus an der Bundesstraße gerufen. Nun wurde am 29. April 1958 der Grundstein für eine neue dreiklassige Schule gelegt, die allen Anforderungen der Gegenwart entsprechen sollte.

Waldbühne Wittel
Waldbühne Wittel

Der Wittel ist von besonderer landschaftlicher Schönheit. Die lieblichen Sieke werden besonders gern von den Kurgästen der benachbarten Badestadt Oeynhausen besucht. Ein besonders in den Vordergrund gerücktes Besuchsziel war jahrelang die Waldbühne auf dem Wittel. Gerade die Waldbühne Wittel hat den Namen Wittel weit über die Grenzen des heimischen Bereichs hinaus bekannt gemacht. Wenn die plattdeutschen Spiele zu Zeiten der Freilichtbühne in Beckmanns Busch fast 30 000 Besucher angelockt und erfreut haben und danach eine Spielschar mit unermüdlichem Fleiß plattdeutsches Sprachgut pflegt, so darf man wohl sagen, daß der Wittel zu einem dörflichen Kulturzentrum besonderer Art geworden ist. – Der Sanderplatz an der Straße Wittel – Exter auf dem Stickdorn ist ein bemerkenswertes Fleckchen heimischer Pflanzen- und Tierwelt und verdient den Schutz der gesamten Bevölkerung. Die „Gohfelder Tannen“ im Hartsieke mit dem Naturfreundehaus als Jugendherberge sehen neben den heimischen Wander- und Heimatfreunden auch internationalen Besuch. Im Witteler Bereich findet man noch drei alte Grenzsteine aus dem Jahre 1542 mit den Wappen des Bistums Minden und der Grafschaft Ravensberg. Einer dieser Steine diente lange Zeit auf dem Schmidtschen Hofe als  Torsäule, Ein zweiter wurde vor Jahren zum Amtshausberg bei Vlotho evakuiert und hat eine Nachbildung als „Statthalter“ erhalten. – Die Streusiedlung Wittel beherbergt etwa 1000 Einwohner. Mittlere und kleine Bauernhöfe mit ihrem schwarzweißen Fachwerk unter alten Eichen und Obstbäumen schauen ins stille Land.  Mehr oder weniger gepflegte Türbögen, die Dokumente der bäuerlichen Holzschnitzkunst, berichten über das Wohl und Wehe, aber auch über den christlichen Sinn heimischer Bauerngeschlechter.

Angesiedelte Industrie- und Handwerksbetriebe, so wie ein Verbrauchergroßmarkt bestimmen daneben die wirtschaftliche Struktur. Zwei Wassermühlen, die Rürupsmühle am Mittelbach und die Viesemühle am Brömkensbach, so wie die „demontierte“ Windmühle haben in Folge der fortschreitenden Technik ihre einstige Bedeutung verloren. „Luftkurort Wittel“ ist zwar noch ein Begriff, zu dessen Formung noch allerlei Voraussetzungen notwendig sind, jedoch immerhin gewisse Ansätze vorhanden sind.

Ländlich – doch nicht abgelegen: das ist der Wittel; heimatverbunden und weltoffen, das sind die Wittler.

                                                                                        

                                                                                            Heinrich Ottensmeier
aus „Waldbühne Wittel – Sommerspielplan 1959“