Der „Tran“, eine alte Grenzflur

von
Heinrich Ottensmeier

 

Bereits 1151 urkundlich erwähnt

Wer von Bad Oeynhausen oder Gohfeld kommend in der Nähe der Waldbühne Wittel das Mittelbachtal verläßt und in südlicher Richtung weiterwandert, kommt, kurz nachdem er die von Wittel nach Exter führende Knickstraße erreicht hat, zum „Tran“. Bei dieser Flurbezeichnung handelt es sich keineswegs um eine scherzhafte neuzeitliche Benennung einer kleinen Gruppensiedlung, sondern der „Tran“ hätte bereits vor einigen Jahren seinen 800. Geburtstag feiern können. Aber bescheiden, wie der „Tran“ und seine Bewohner auch heute noch sind, hat er kein großes Aufheben von diesem Jubiläum gemacht, zumal er auf keine verbrieften Stadt- oder Gemeinderechte pochen oder sich auf einen besonders verdienstvollen oder kapitalkräftigen Mitbürger beziehen konnte. Ja, der „Tran“, und damit der äußerste Südzipfel der Gemeinde Gohfeld, ist so unbekannt und verkannt, daß sehr viele Leute diese Druffelsiedlung bereits zur Gemeinde Exter rechnen.

So sehr verargen kann man den Leuten diesen Irrtum nun auch wieder nicht, den die Einwohner vom „Tran“ und dem benachbarten Stickdorn wurden besonders in postalischer Hinsicht so vernachlässigt, daß sie, obwohl ihnen die Briefpost unter der Postleitzahl 4972 von Löhne über Gohfeld zugestellt wird, bis auf eine Ausnahme keine Möglichkeit fanden, auch an das Löhner Ortsfernsprechnetz angeschlossen zu werden. Sie geben also weiterhin ihre Anschrift mit „Wittel über Gohfeld II“ an, wer sie aber fernmündlich erreichen will, muß sie im Ortsnetz Exter suchen.

Wer nun aber glaubt, die „Traner“ und die „Stickdorner“ seien hier im „Tran“ gewesen, der kennt die Leute von der Höhe aber schlecht, denn sie waren sehr wach und haben sich sehr energisch gegen diese postalische Aufspaltung gewehrt, doch waren die Verhältnisse an der Bundespost stärker als sie. Ob man sie, wenn der Ausbau des Löhner Fernsprechwesens abgeschlossen ist, „heim ins Reich“ holen wird, muß abgewartet werden. Mindestens dürfte man den Leuten im Grenzland deswegen keine weiteren Unkosten aufbürden. Und das darf man doch wohl erwarten, wenn man heuer seinen 815. Geburtstag feiern kann.

In einer Urkunde des Bischofs von Paderborn aus dem Jahre 1151 werden dem Marienstift auf dem Berge bei Herford die von der Gründerin, Äbtissin Godesti, erworbenen Güter bestätigt. Unter den in der Urkunde aufgezählten Orten, in denen die Güter liegen, befindet sich auch „Tran“, oder „Auf dem Tran“, wie die Flur heute meistens bezeichnet wird.

Viel ist schon an dem Namen herumgerätselt worden. – Wenn auch gelegentlich in alten Akten die Bezeichnung „Im Tran“ auftritt, so dürfen wir, wie bereits angedeutet, keinesfalls annehmen, daß die wenigen Siedler dieser Flur etwa „im Tran“ oder schläfrig oder gar müde sind oder vor Zeiten gewesen seien. Die mundartliche Bezeichnung „Troan“ könnte auf eine tiefe Wagenspur, wie wir sie noch heute auf Feldern oder Landwegen finden, hindeuten. Aber dann müßte es „inna Troan“, in der Wagensspur, heißen. Aber auf die Richtigkeit dieser Annahme deutet weder der Sprachgebrauch hin, noch geben die Flurform oder die Flurlage dafür irgendeinen Anhaltspunkt. – Auch mit dem flüssigen Fett von Säugetieren oder Fischen, dem Tran, läßt sich dieses Gelände nicht in Verbindung bringen.

Mehr Wahrscheinlichkeit könnte schon eine dritte Auslegung, „der Thron“, für sich haben. Tatsächlich wohnen die Leute hier „ubben Troan“, „auf dem Thron“. Diese Deutung würde nun doch ins Scherzhafte führen, wenn es sich hier auch um den höchsten Punkt der Gemeinde Gohfeld handelt und einen „königlichen“ Rundblick genießen und auf die weiteren Nachbarn von oben herab blicken läßt.

Doch wenden wir uns nun abschließend noch an einen unserer Ortsnamenkundler  H.Jellinghaus, er leitet das Wort in seinem Buch „Die westfälischen Ortsnamen nach ihren Grundwörtern“ von „drohne“ (aus drovene) ab. Eine „drohne“ ist ein altes Ackermaß. Es ist etwa unserem „Scheffelsaat“ (3 Scheffelsaat = 2 Morgen) gleichzusetzen. Und damit scheint auch bei unserem „Thron“ oder „Tran“ der Kern der Sache getroffen zu sein. Wenn auch nicht unbedingt die Größe der „Güter“ aus dem Jahre 1151 festgelegt werden kann, so kann es sich doch nicht um Güter größeren Ausmaßes gehandelt haben.

In den folgenden Jahrhunderten hören wir nichts weiter vom „Tran“, wenn wir von den stummen Zeugen, der auf dem Hofe des Landwirts Schmidt als Torsäule Dienst tut, absehen. Es ist ein Grenzstein aus dem Jahre 1542, der auf der einen Seite die gekreuzten Schlüssel, des Wappens des Bistums Minden, auf der anderen Seite die drei Sparren, das Ravensberger Wappen, trägt. Auch in den Heberegistern des Stiftes „Auf dem Berge“ bei Herford aus dem 14. Jahrhundert werden die vorgenannten Güter nicht mehr erwähnt. Vermutlich sind sie dem Mindener Bischof, dem sie im 17. Jahrhundert zu eigen waren, irgendwie und irgendwann übereignet worden.

Wenn wir anfangs andeuteten, daß noch manche Leute den „Tran“ nach Exter verlegen, so muß doch auch darauf hingewiesen werden, daß der südliche Teil der Gemeinde Gohfeld, insbesondere die Siedlungen „Tran“, „Stickdorn“ und „Kohlflage“ mit Teilen der Gemeinde Exter und Schwarzenmoor lange Zeit hindurch eine Interessengemeinschaft in der Hude- und Holzgerechtsame in der Dornberger Heide und im Arnholz bildeten. 1842 erfolgte die Aufteilung dieser gemeinsamen Mark. Im Grenzregulierungsvertrag zwischen dem Bistum Minden und der Grafschaft Ravensberg vom Jahre 1541 wurde u. a. bestimmt: „Die Mindischen Untertanen, so am Bischofshagen und der Orten gesessen, sollten einen Ort Holzes über die Schnat in der Vlothoischen Hoheit neben dem Arnholz in dem Dornberg und dem Speckenhagen haben.“

Aber sehen wir uns nun einmal auf dem „Tran“ um. – Nach den alten Gohfelder Kirchenregistern des 17. und 18. Jahrhunderts umfaßt der „Tran“ die Gehöfte Störmer, Harbort, Stuke, Plattfot, Niemeier, Schnieder, Schmidt, Sander vorm Holze und Küster vorm Holze. Dabei ist zu erwähnen, daß die Besitzungen Störmer und Harbord zur Bauerschaft Bischofshagen, der Sander vorm Holze zur Bauerschaft Depenbrock und die übrigen Siedler zur Bauerschaft Jöllenbeck gehören. Klammern wir hier zunächst einmal die Gehöfte „vorm Holze aus und bleiben beim engeren „Tran“.

Die ersten amtlichen Angaben über die Höfe auf dem „Tran“ finden wir in der alten Höferolle der „Vogttey Gohfeld, Amts Hausberge im Bistum Minden“ aus den Jahren 1682 und 1683. Im Verzeichnis der Bauerschaft Bischofshagen finden wir unter der Nr. 36 (später 39): „Otto Harbord, ein dem Amt Eigenbehöriger Brinksitzer gebet jährlich:  An Zinskorn 6 sch (Scheffel) Hafer, An Viehe 1 Rauchhuhn, An allerhand kleinen Geldgefällen: 4 Pf. Ostergeld, An Diensten: 4 frey Dienste jährlich. Giebt sooft der kömbt wegen des Leibeigenthums Weinkauff, Erbtheil und muß Freybrife lösen. Hat bey seiner Städte an Läderey

Feld                      11 1/8 Morgen                     2 Ruthen                  - Fuß                 Weyde                   1 3/8 Morgen                     5 Ruthen                  - Fuß               Garten                       1/8 Morgen                     3 Ruthen                  - Fuß
Summa                   12 5/8 Morgen                   10 Ruthen                  - Fuß

Im Jahre 1807 erbauten Johan Christofer Harbort und Christin-Liesbeth Krugern das inzwischen einer Feuersbrunst zum Opfer gefallene Wohn- und Wirtschaftsgebäude, und im Jahre 1843 Carl Diederich Halbert und Anna Christine Wilhelmiene, geborene Schmidts, das Heuerlinshaus und das Backhaus. Der jetzige Besitzer ist der Landwirt Karl Nolting.

Unter der Nr. 55 der Bauerschaft Bischofshagen ist der dem Amt eigenbehörige Brinksitzer Johann Stückthorn, itzo Frantz Stürmer aufgeführt. Er hat jedes zweite Jahr ein Mastschwein oder 9 Thaler und ein Rauchhuhn zu liefern. dazu kommen noch 18 Groschen Zuschlagsgeld und vier Pfennig Ostergeld. Auch in Hinsicht der Dienste ist er seinem Nachbarn gleichgestellt, obwohl er nur 2 Morgen 1 Ruthe und 1/16 Morgen Gartenland verfügt. Das im Jahre 1827 von Johan Friedrich Starmer (Stürmer) und Chattine Elisabeth Tilkern und Carl Friedrich Starmer und Anne Marie Christiene Stm. erbaute Bauernhaus wurde beim Enmarsch der Amerikaner am 2. April 1945 ein Raub der Flammen. Der Hof befindet sich auch noch heute im Besitz der Familie Stürmer.

Wenden wir uns nun noch kurz den Jöllenbecker „Tranern“ zu. Den Grenzstein auf dem Schmidt’schen Hofe haben wir zwar schon besichtigt, aber der nochmalige Weg lohnt sich schon. Die Schmidts scheinen sich auch späterhin ihrer Eigenschaft als „Grenzwächter“ bewußt gewesen sein, denn der alte, mehr als 250 Jahre alte Türbogen, der leider mit dem alten Fachwerkhause einem Brand zum Opfer fiel, trug das Ravensberger Dreisparrenwappen von „jenseits der Grenze“. Auch sonst ist die Inschrift, teilweise lateinisch durchsetzt, nicht uninteressant. „Anno 1735 den 8.Junius – Bete und arbeite – Den daher flos der Heren Segen wie ein Strom – Gloria in Exelsis Do – Frans Hinrich Sickman  Imaton (?) Anna Ckattrie Schmdcarges die haben dis Haus bauen lsen – Pax itrantibus“.

Nach dem Höferegister der Bauerschaft Jöllenbeck aus dem Jahre 1683 hat der Brinksitzer Jobst Peter im Thran (im  Gohfelder Kirchenbuche tritt daneben auch der Name „Schmidt uffn Tran“ auf) 4 Scheffel Hafer, ein Mastschwein oder 9 Groschen und ein Rauchhuhn zu liefern. Neben einem halben Groschen Ostergeld stehen 22 Groschen Zuschlagsgeld. Aus der enormen Höhe des Zuschlagsgeldes darf man wohl schließen, daß sich der Schmied Jobs Peter hier am Rande der allgemeinen Mark zur Ausübung seines Berufes niedergelassen hat und ihm der erforderliche Grund und Boden gehörte. Es sind zu der Zeit (1683) 9 1/8 Morgen 1 Ruthe und 2 Fuß Saatland, ½ Morgen 11 Ruthen 6 Fuß Wiesen und ¼ Morgen 8 Ruhten 5 Fuß Gartenland, insgesamt also 10 Morgen 6 Ruthen 3 Fuß Grundbesitz. Daneben hat er auch noch „4 freye Dienste jährlich“ zu leisten. Die Schmiede muß sich trotz Anwachsens der Konkurenz und des eigenen Grundbesitzes recht lange gehalten haben, denn auf dem Boden des Nebenhauses wurde bis in unsere Zeit ein alter Blasebalg aufbewahrt.

Gehen wir nun den schmalen Feldweg zum Schneider (Schnuida“) auf dem „Tran“. Der Name dürfte sich selbst erklären, doch ist hier das Handwerk nicht mehr in jüngerer Zeit nachzuweisen. Bei dem „fürm Arendholz“ oder „Arnholz“ liegen die Verhältnisse ähnlich wie bei seinem Nachbarn. Das älteste auf dem Hofe stehende Fachwerkhaus ist ebenfalls im Jahre 1734 erbaut und zwar von Johan Herm Goner und Anna Maria Catrina Nederm. An einem anderen Schuppen lesen wir: „Im Jahre 1842, den 14 Juny Haben Hermann Heinrich Arnholz und Christine Ilsebein Pameyers dieses Haus bauen lassen. Der Herr ist ein Beschirmer aller Güter und der gerechten Häuser. Welche Gott Gebauet hat und nicht der Mensch“. Heute ist der Hof im Besitz der Familie Wilhelm Stürmer.

Der erste Neusiedler auf dem „Tran“ scheint der Niemeier gewesen zu sein, jedenfalls kann sowohl aus dem Namen, der sich übrigens gegenüber mancherlei anderen Hausnamen bis zur Gegenwart durchgesetzt hat, wie auch aus der Hausnummer und der einstigen Besitzgröße schließen. Immerhin verfügte der Brinksitzer Herm, itzo Jochen Sander vor mehr als 300 Jahren schon über fast 18 Morgen Grundbesitz und mußte „drey freye Dienste mit der Hand“ tun, Er hat 12 Scheffel Hafer, Ein Mastschwein ( 9 Groschen) und ein Rauchhuhn zu liefern.

Nun haben wir noch zwei Höfe mit interessanten Namen zu besuchen. Das ist zunächst der „Plattfuß“ oder der Brinksitzer Johann Stichdorn „auf dem Plattfuß“, der neben einem Mastschwein (4 ½ Groschen) noch 16 Groschen Zuschlaggeld und ½ Groschen Ostergeld zu bringen hat. Auffallend ist auch die Höhe des Zuschlaggeldes. Er scheint seinen Besitz in Größe von gut 5 Morgen aus der allgemeinen Mark zugeschlagen erhalten zu haben. Der jetzige Besitzer dieser Stätte ist Brokamp. – Sein Nachbar Wolf-Otto König scheint nicht als der Oberste und Erste auf dem „Thron“ gesessen zu haben, denn bei nur 3 7/8 Morgen Land ist keine „königliche Haltung“ möglich. Auch hier deuten die 14 Groschen Zuschlagsgeld auf Ansiedlung auf Markengelände hin. Auch der König (heute Gößling) muß wie sein Nachbar „Plattfuß“ vier freie Dienste jährlich leisten.

Außer diesen erwähnten Besitzungen, die immerhin auf eine über 300 jährige Hofgeschichte verweisen können, gibt es an späteren Siedlungen nur eine Tischlerei (früher Holzschuhmacherei), eine Schmiede und ein Wohnhausneubau. Es ist auch kaum zu erwarten, daß hier in dem abgelegenen, aber naturschönen Gebiet in absehbarer Zeit eine besondere bauliche Entwicklung eintreten wird. Aber trotzdem sind die Bewohner vom „Tran“ und vom Stickdorn stolz darauf, daß sie in dieser unbedeutenden Grenzflur eine Geschichte von mehr als (800 Jahren nachweisen läßt und von ihnen gepflegt wird.

                                                                                                                    Heinrich Ottensmeier
aus „Waldbühne Wittel – Sommerspielplan 1966“