Auf der Kohlflage schwelten die Meiler

von
Heinrich Ottensmeier

 

Lohnendes Wandergebiet im Südwestzipfel der Gemeinde Gohfeld

Anfang dieses Jahrhunderts, als die Wegweiser noch „Handweiser waren“, wies eine solche weiße Hand an der Koblenzer Straße, etwa zweihundert Meter oberhalb der Fiesemühle, in  südöstliche Richtung, und die schwarze Aufschrift dieser Hand verriet, daß dieser Weg „Über Kohlflage nach Exter“ führte Ja, hier in der äußersten Südwestecke der Stadt liegt die Kohlflage. Diese Flur von zwei kleinen Quellbächlein der „Brömkensbieke“ eingeengt, reicht von der vom Freiherrn vom und zum Stein in den Jahren 1798 bis 1804 erbauten Heerstraße bis an die Grenzen der Gemeinden Schwarzenmoor und Exter, die ehedem zur Grafschaft Ravensberg gehörten, während besagte Kohlflage, und mit ihr die ganze Bauerschaft Bischofshagen, zum Bistum Minden gehörten. Die Kohlflage war also bis zum Jahre 1648 Grenzland, wenn auch hier keine Grenzsteine aus dieser Zeit mehr zu finden sind, wie sie uns noch an anderen Stellen dieser alten Grenze erhalten geblieben sind. Möglicherweise waren auch gar keine Grenzsteine vorhanden, zumal die Huderechte der Mindener Bauern dieses Gebietes über die Grenze nach Ravensberg hinweggriffen. Die Dornberger Heide, auch wohl „Stiftmindener Heide“ („Stift mindsken  Hoe“) genannt, war Hudegerechtsame für die umliegenden Bauernhöfe von Bischofshagen, Jöllenbeck, Schwarzenmoor, Exter und Solterwisch.

Dieses völlig abgelegene Gebiet wurde aus seinem Dornröschenschlaf geweckt, als die oben erwähnte Straße gebaut wurde und kurz nach ihrer Fertigstellung eigene und vor allem fremde Kriegsscharen diese neue Straße bevölkerten und die beiderseits der Straße liegenden Gehöfte nicht ungeschoren ließen. Besonders unerträglich wurden aber die Verhältnisse, als 1813 die Truppen des französischen Eroberers dem Rhein zueilten und die Verbündeten auf dem Weg zu endgültigen Befreiung ihnen nachsetzten. Ja, auch die heimische Bevölkerung jubelte den Befreiern zu, zumal auch „Hieronimus von Gottes Gnaden“, der Bruder Napoleons und König von Westfalen, sich nach Westen abgesetzt hatte und sein Königreich, und damit auch unsere Heimat, wieder gut preußisch wurde. Aber auch das eine tränende Auge blieb den Einwohnern beiderseits der Heerstraße nicht erspart. Besonders die Kosackeneinheiten trieben nicht nur Lebens- und Futtermittel bei, sondern auch die Viehbestände mußten in abgelegenen Wälder und Sieken vor ihnen gesichert werden. Oft räumten sie auch den Hausfrauen ihre Wäscheleinen ab. Besonders schlimm war es am 9. und 10. November 1813, als sich bei Gohfeld und Rehme das russische Korps des General Graf von Winzegerode mit 42 000 Mann und das Korps des preußischen Generals Graf Bülow von Dennewitz mit 30 000 Mann kreuzten. Beide Armeen wurden vornehmlich, wie die Gohfelder Gemeindechronik berichtet, in der Gemeinde Gohfeld einquartiert. Natürlich konnten die Häuser die Truppen nicht fassen. Auf einigen Höfen lagen 200 bis 300 Mann.

Alle diese Truppen mußten verpflegt werden. Korn, Heu, Stroh und Lebensmittel aller Art holten sich die Soldaten dort, wo sie sie fanden. Hecken, Zäune, Türen, ja sogar ganze Ställe wurden zu den Wachtfeuern herangeholt. Die Not war unbeschreiblich. Am meisten hatten die zunächst der Landstraße liegenden Höfe und Häuser in Bischofshagen und Jöllenbeck zu leiden. Viele Landleute haben in der Angst und Sorge in diesen Tagen Haus und Hof im Stich gelassen. Als sie an dem Tage nach dem Abmarsch der Truppen wieder zurückkehrten, fanden sie ihre Höfe rein ausgeplündert. Diesen Einquartierungen folgten, wenn auch nicht in diesem Maße, andere. So zogen einige Monate später die Schweden durch. Erst im März 1814 hörten die Durchmärsche auf. – Soweit die Angaben aus der Gohfelder Chronik.

Aber sehen wir nun einmal näher an Ort und Stelle um! Wir erwähnten schon eingangs, daß die Kohlflage an drei Seiten von bewaldeten Sieken eingeschlossen ist, von denen das eine seinen Anfang im Heidenholz nimmt. Diese malerische Gegend verdient es, in das Wandergebiet von Bad Oeynhausen  mit einbezogen zu werden, zumal man von hier aus in westlicher Richtung das mittlere und untere Brömkensbachtal erwandern kann, durch das Heidenholz aber auch einen schönen Wanderweg zur Herforder Egge mit dem Sendeturm hat. Aber auch sonst bieten sich gute Möglichkeiten, über Stickdorn und Tran Anschluß an das Mittelbachtal und damit an die bereits bekannten Wanderwege zu gewinnen.

Am Rande der Kohlflage oder des Kohlfeldes, wir müßten hier allerdings „Kollflage“ und „Kollfeld“ sagen, denn mit Kohl haben die Bezeichnungen nichts zu tun, finden wir die wenigen Siedlungen. Die Gehöfte können bis auf eins in ihrer Geschichte über mehrere Jahrhunderte zurückverfolgt werden. Ausgangspunkt der Erschließung der Kohlflage scheint der Hof des Landwirts August Krüger, Bischofshagen Nr. 17 zu sein. Er hat seine alte Bezeichnung Kollmeier trotz des Namenswechsels bis in die Gegenwart herübergerettet. Nicht nur die Gohfelder Kirchenbücher berichten seit dem Dreißigjährigen Kriege über das Kommen und Gehen der Kollmeier, sondern auch einem alten Verzeichnis der Hand- und Spanndienste der Vogtey Gohfeld aus dem Jahre 1680 entnehmen wir, daß der Kötter Johan Kollmeyer schuldig ist dem Amte Hausberge jährlich drei Handdienste mit der Sense zu leisten. Es heißt dazu in einer Fußnote wörtlich: „Kötere seien umb selbige Zeit gleicher gestalt schuldig, durch starke Manns versehen, Ihre Handdienste, wozu Sie mit Sensen, Axten, Schueten, Bardten oder wie es nahmen haben mag, bestellt werden, Ihre Dienste zu verrichten.“

Damit ist der unter der Nummer 13 des Registers verzeichnete Hof Kollmeier nicht nur der größte Hof dieser Flur, sondern auch der älteste, zumal er zu den vorrangigen Köttern gehört, während die übrigen Besitzer nur Brinksitzer sind. Der Name Kollmeier scheint nicht nur Hausname, sondern auch Berufsname gewesen zu sein. Wenn hier vor Jahrzehnten noch große schwarze Stellen in der Ackerflur festgestellt wurden, so dürften diese keineswegs den Biwaksfeuern der Befreiungskriege ihre Entstehung verdanken, da man sie sonst auch an der anderen Seite der Heerstraße hätte finden müssen. Auf der Kohlflage schwelten Meiler. Das erklärt auch die Namen Kollmeier und Kohlflage eindeutig.

Wenn wir schon andeuteten, daß die Besiedlung beim „Koallhof“ in der Nähe des Bachsiekes erfolgte, so gilt das von den beiden Höfen Pahmeier besonders. Der Name Pahmeier, er soll von Bach abgeleitet sein, stellt auch heute diese Bedeutung noch unter Beweis, denn beide Höfe, es handelt sich um den Hof Hermann Pahmeier, Bischofshagen Nr. 40. und um den Hof Heinrich Pahmeier, Bischofshagen Nr. 51, der seit alters her „Mühlenhof“ genannt wird, liegen unmittelbar an ehedem wasserreichen Sieks. Wir können annehmen, daß der jetzige „Poahmhof“ und der „Mühlenhof“ ursprünglich eine Einheit bildeten, bei einer Teilung dem einen Pahmeier der größte Teil der Ländereien, dem anderen die Mühle übertragen wurde. Das dort früher eine Mühle betrieben wurde, bestätigt auch heute noch das auf der anderen Seite des Siekes gelegene Feld des Bauern Krutemeyer, Jöllenbeck  Nr. 2, das die Bezeichnung „Mühlenkamp“ führt. Wenn man das kleine Bächlein auch heute nicht mehr als „Mühlenbach“ anzusprechen wagt, so trieb doch nur wenige hundert Meter unterhalb des Mühlenhofes der Kollmeier noch am Anfang dieses Jahrhunderts seine Dresch- und Häckselmaschine mit Wasserkraft. Eine Bestätigung unserer Annahme gibt uns die bereits oben erwähnte Höferolle aus dem Jahre 1683, in der wir unter der Nr. 37  (später Nr. 40)  folgende Eintragung finden: „Johan Pahmeyer, ein dem Ambt  Eigenbehöriger Brinksitzer giebet Jährlich. An zinskorn 10 sch. Hafer, An Viehe 1 Mastschwein oder 9 gl., 1 Ganß,

1 Rauchhuhn.   An allerhand  kleinen Geldgefällen 10 gl. Wischgeld, 4 gl. Zuschlagsgeld, 1 gl. Ostergeld, An Diensten: 4 freye Dienste Jährlich.

Hat bei seiner Städte an Länderey: Saatland 14 5/8 Morgen, Wießenland 2 Morgen 9 Ruthen 5 Fuß, Garten 1/8 Morgen, Summa 16 ¾ Morgen 9 Ruthen 5 Fuß.“

Der „dem Ambt Eigenbehörige Brinksitzer Jürgen itzo Hermann Bachmeier“ verfügt nur über einen halben Morgen Saatland und 1/16 Morgen 3 Ruthen 5 Fuß Gartenland. das ist wahrlich kein Grundbesitz, von dem der „Mühlenmeier“ seine Familie ernähren könnte. Ob die Mühle in dieser Zeit noch für die Nachbarschaft ihre Räder Klappern ließ, ist sehr zweifelhaft, zumal der Fiesemöller in unmittelbarer Nähe zur fraglichen Zeit eine solche betrieb und dafür den Mühlenzins zu entrichten hatte, hier aber von einem Mühlenzins nichts vermerkt ist. Entsprechend seines geringen Grundbesitzes sind auch die Abgaben geringer als die seines „großen Bruders“. Er hat nur „ums 2. Jahr ein  Mastschwein zu liefern“, dazu ein Rauchhuhn. Er zahlt auch nur 2 Groschen Zuschlagsgeld und 6 Pfennig Ostergeld, muß aber genau wie sein Nachbar und Namensvetter jährlich 4 freie Dienste leisten.

Etwas klarer scheinen uns die Verhältnisse bei dem auf der unteren Kohlflage wohnenden „Brinksitzer Johann Büschenfeld itzo Johan im Kotten“ zu liegen. Wenn auch hier der Name Büschenfeld zuerst genannt wird, so muß man doch auf Grund der Eintragungen im Gohfelder Kirchenregister annehmen, daß die Begründung der Besitzung von Kollmeiers Kotten ausgegangen ist, die dann später ihren Mittelpunkt auf dem Felde im Büsche fand. Wenn der offizielle Name auch bis auf den heutigen Tag Büschenfeld (Besitzer Oskar Büschenfeld, Bischofshagen Nr. 58) geblieben ist, so wird doch auch der Name „Kohdenmeyer“ nebenher bis zur Gegenwart gebraucht. Von seinem Besitz hat der Johann Büschenfeld oder Johann im Kotten, der nur rund 1 Morgen umfaßt, nur ein Rauchhuhn, 5 Pfennig Zuschlagsgeld und 4 Pfennig Ostergeld abzuführen, muß aber auch jährlich 4 frei Dienste leisten. Auch diese Besitzung hat sich wie die der Nachbarn im Laufe der drei Jahrhunderte zu einem mittleren Bauerhof ausgeweitet.

Wenn wir den Fiesemeier und die Fiesemühle wegen der Besonderheit ihrer Entwicklung und Geschichte hier unberücksichtigt lassen, so haben wir uns eigentlich nur noch den „Neubauern“ zuzuwenden. Zwar sind diese „Neubauern“, wenn wir von dem Neubauer Heinrich Holle, Bischofshagen Nr. 496, der seinen Neubau hier in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg ausführte, absehen, keine Neubauern im heutigen Sinne mehr. Da sind zunächst die  beiden Höfe August Hempelmann, Bischofshagen Nr. 66, und Wilhelm Oberdiek, Bischofshagen Nr. 71, denen wir noch einen kurzen Besuch abstatten wollen. Beide Höfe sind 1683 noch nicht aufgeführt, bestanden also noch nicht. Der genaue Termin der Entstehung ist nur bei dem Hof Nr. 71 bekannt. In einem alten Register aus dem Jahre 1755 wird unter dieser Nummer der Neubauer Friedrich Pahmeyer (der dritte Pahmeyer auf der Kohlflage) aufgeführt. In einem Zusatz heißt es dann: „Hat laut Verordnung de May 1754 im Anno 1753 gebaut, und sind die Freyjahre ab May 1756 zu Ende“. – Die Besitzung Hempelmann muß wesendlich früher begründet sein, denn Johann Jürgen Hempelmann verfügt bereits im Jahre 1748 über einen Viehbestand von zwei Kühen und zwei Rindern und hat einen Heuerling beschäftigt. Beide Neugründungen liegen unmittelbar an der allgemeinen Mark und der Grenze zu Exter. Die Ausweitung zu mittleren Bauernhöfen geschah zum großen Teil aus der Aufteilung der Dornberger Heide; aber auch vom Kollfeld konnten sie einige Ländereien erwerben.

Vor knapp hundert Jahren entstand dann auf dem Gelände des Büschenfeld oder Kottenmeyer die Besitzung Bischofshagen Nr. 119, (Walter Holle). Die alte Leibzucht die Ursprungzelle des Hofes, wurde erneut zu einem selbständigen Besitz, der jedoch nicht mehr in erster Linie der Landwirtschaft, sondern dem Handwerk diente.

Aber blenden wir am Schluß unserer Ausführungen noch einmal zurück, um einen kleinen Einblick in Leben und Denkungsart unserer Vorfahren zu tun. Da stand am Eingang des Wirtschaftsgebäudes des Hofes Bischofshagen Nr. 40 in Eichenholz eingegraben: „IM JAHR 1782 DEN 29 TEN MAIUS HABEN JOHAN HENRICH PAHMEIER UND TRIN ILSABEIN LÄDIGEN DIESES HAUS BAUEN LASSEN – JESUS DER DIES HAUS GEGEBEN WILL AUCH GERNE DRIN LEBEN + DENN ER KANN ES VOR GEFAHREN + BESSER ALS DER MENSCH BEWAREN“ Ja, so stand es dort mahnend und warnend – bis am 8. Juli 1956 ein Blitzschlag das ganze Fachwerkgebäude in Schutt und Asche legte. – Auch Johann Friedrich Pahmeier und Margarete Ilsabein Königs ließen auf dem Hofe Bischofshagen Nr. 71 am 10 Juni 1824 und Hermann Heinrich Hempelmann und Anne Marie Pahmeiern auf dem Hofe Bischofshagen Nr. 66 am 25. Juni 1825 Umwelt und Nachwelt mit dem gleichen Spruch auf den einzigen unvergänglichen Mittelpunkt eines Christenlebens hinweisen. Auch sie mahnen nicht mehr. Die Türbogen sind ein Opfer der neuen Zeit geworden

Doch kehren wir zum Ausgangspunkt unserer Wanderung zurück. Lassen wir uns mit den Worten des Türbogens auf dem Kollhofe noch einmal auf die Nichtigkeit unseres Daseins hinweisen: „Dies Haus ist mein und doch nicht mein, wer nach mir kömmt, soll auch darinnen sein. Wir bauen alle feste und sind gar fremde Gäste. Wer bauen will auf dieser Welt; der baue, was Gott gefällt. Herr, lehre uns bedenken, daß ...“

  Heinrich Ottensmeier
aus „Waldbühne Wittel – Sommerspielplan 1969“