Heinrich Ottensmeier

Lebenslauf (Fragment) geschrieben am 17.09.1978

 

„Unser Leben währet 70 Jahre, und wenn’s hoch kommt, so sind es 80 Jahre!“

Ja, und nun sind es schon 81 Jahre geworden! Und je älter man wird, desto schneller fährt es dahin! Und je älter man wird, desto öfter laufen die Gedanken in die Vergangenheit, in die Jugendzeit zurück. Und immer deutlicher werden die Ereignisse der Jugendzeit hinter denen der Gegenwart, die nicht immer mehr so haften bleiben wollen. Doch keine Sorge, ich kann  nur, dankbar sein in jeder Richtung und Gott nicht genug danken für alle Führung und für alle Gaben, die er reichlich und täglich geschenkt hat. Doch gerade das läßt auch immer wieder Rückschau halten! Besondere Gelegenheiten geben dazu die wöchentlichen Zusammenkünfte in unserem Altentreffpunkt Mahnen1 und unsere Familienfeiern anläßlich der Geburtstage im Geschwisterkreis. Und besonders hier wird immer wieder mit Dankbarkeit und Bewunderung unserer Eltern und des Elternhauses gedacht, wo wir das Beten und das Arbeiten gelernt haben. Hier durften wir erfahren, wie zwei in Liebe verbundene Menschen das Christsein praktizierten, wo zwei grund-verschiedene, körperlich und charakterlich grundverschiedene Menschen trotz Krankheit und Not, trotz der großen Kinderzahl und ihrer Erziehung, in unverbrüchlicher Liebe und Treue zusammenstanden. Ich selbst und jeder meiner Geschwister müßte noch mehr Zeugnis ablegen, von dem was wir erfahren durften, um es Enkeln und Urenkeln zu erhalten, die gewiß auch noch von diesem Segen zehren dürfen. Aber hier nur ein kleines aber treffendes Beispiel:

Als unsere liebe Mutter nach schwerer Krankheit ihre Augen für immer geschlossen hatte und wir Kinder mit unseren Angehörigen um den Vater herumsaßen, suchte ihn eine seiner Schwiegertöchter zu trösten mit dem Hinweis darauf, daß er doch sehr dankbar sein könnte, daß er immer so stark und gesund gewesen sei und so oft vor der kränklichen und schwachen Frau, die ihm zwölf Kinder geboren habe, habe vorherarbeiten können und sie in jeder Weise habe entlasten können. Da strahlten seine Augen unter Tränen und bekannte:“ Sie hat viel mehr gearbeitet als ich, aber auf den Knien!“

Und diese segenreiche Hand- und Kniearbeit, dürfen wir auch heute, 40 Jahre nach dem Tode unserer Mutter und 27 Jahre nach dem Heimgange unseres Vaters spüren“ – Mögen auch unsere Nachkommen bis ins tausendste Glied das „Wohltun“ Gottes noch spüren! – „Ich wollt’, ich hätte diesem Weibe (diesen Eltern) gleich, erfüllt, was ich erfüllen sollte in meinen Grenzen und Bereich!“

Ja, das waren die beiden helle Sterne, unter denen mein Leben begann und die ihm als rechtes Licht in der Jugendzeit vorausleuchteten, obwohl auch noch andere Sterne Licht in unsere Kindheit trugen.

Daß ich am 7. September 1897 um 2 Uhr vormittags auf dem Ottenshof auf dem Stickdorn, in Bischofshagen Nr. 26, geboren bin, haben mir meine Eltern und die amtlichen Urkunden bezeugt. Das Geburtsregister der Gemeinde Gohfeld beurkundet auch, daß ich Heinrich Friedrich Ottensmeyer heiße. Der Rufname ist Heinrich nach meinem Großvater Heinrich Ottensmeyer. Schon in der ersten amtlichen Urkunde zeigt sich eine Sonderheit, die mich durch mein ganzes Leben begleitet. Das heißt, daß ich diese Sonderheit selbst erst gemerkt habe, als ich mich mit der Familien- und Ahnenforschung befaßte. Bis dahin habe ich auch durchweg meinen Namen als Ottensmeyer geschrieben. Ich wurde also als Ottensmeier eingetragen, und diese Urkunde wurde auch von meinem Vater unterschrieben, obwohl er sonst durchweg Ottensmeyer schrieb. So sind auch wohl bis auf Friedrich und mich alle Kinder als Ottensmeyer angemeldet und eben auch so von meinem Vater unterschrieben. Beim Nachsehen der amtlichen Eintragungen stellte ich dann fest, daß bei der Geburtsanzeige, ich glaube von Frieda, eine Änderung gemacht wurde. Hier war der Name Ottensmeier in Ottensmeyer geändert worden. Das ließ mich vermuten, daß in den beiden Ausnahmefällen mein Vater lediglich auf Wunsch des Standesbeamten den ihn bereits geschriebenen Namen Ottensmeier anerkannte, um diesem einen Ergänzungssatz zu ersparen. Mein Großvater, der zeitweilig auch Vorsteher in Bischofshagen war, schrieb wie ich es mache, Heinrich Ottensmeier.  

Aber nun zurück zu meiner Geburt! Man hat mir erzählt, daß ich ein so kleines Kerlchen gewesen sei, daß man mich habe in der Wiege fast nicht wiederfinden können. Gewogen bin ich sicher nicht. Bei den Erzählungen meiner ersten Kinderzeit muß ich mich weitgehend auf meinen Bruder Hermann verlassen, der auch heute noch über ein ausgezeichnetes Gedächtnis verfügt, bei meiner Geburt jedoch erst eineinhalb Jahre alt war.

Nach der Meinung von Bruder Hermann war ich von vornherein ein Liebling von Großvater “Hinnack“ Ottensmeier, da ich seinen Namen trug.

Das war in unserer weiten Familie eigentlich Tradition, daß der älteste Sohn den Namen des Vaters, der zweite den Namen des Großvaters, der dritte den Namen des zweiten Großvaters oder des ätesten „Vedders“, des ältesten Onkels, bekam. Bei den Mädchen wurde das entsprechend gehandhabt. Auch die Auswahl der „Vaddan“, der Paten wurde in ähnlicher Weise durchgeführt.

Mein Großvater, so erzählte Hermann, habe mich, was gewiß nicht auf einem Bauerhof üblich war, mit gekauftem Zwieback hochgepäppelt, und so sei ich auch immer ein „Soödn“ geblieben. Das erste feste Essen für Säuglinge bestand sonst in gekrümeltem Brot, das mit Butter zusammengehalten, in kleinen Bissen gegeben wurde. Ich selbst kann mich der Bevorzugung durch meinen Großvater nicht entsinnen, nehme jedoch an, daß sie, falls sie vorhanden gewesen ist, durch den sich alle zwei Jahre einstellenden Nachwuchs weitgehend auf diesen verschoben wurde, da mein Großvater stets in der Kinderbetreuung, besonders an der Wiege, eingesetzt war.

Man möchte nun versucht sein, hier ein möglichst eindeutiges Bild von unserem Großvater zu zeichnen, das aber in diesen Rahmen etwas abseits läge und zuviel Raum einnehmen würde. Aber doch sei ganz kurz eingeblendet, daß er nicht sehr groß war, ich würde ihn heute auf meine Größe, etwa 163 Zentimeter schätzen, und in den Jahren, in denen er uns er besonders nahe stand, seine zwei Zentner wog. Er rauchte seine lange Pfeife, schälte Kartoffeln, hatte in den Zeiten, in denen die neben ihm stehende Wiege besetzt war, seinen linken Fuß unter der Kufe der Wiege, um sie, wenn erforderlich, in Bewegung zu setzten. Das er darüber hinaus auch noch die größeren Kinder in der Stube oder auch beim Kühehüten zu beaufsichtigen hatte, wußte ihm meine Mutter sehr zu danken. Besonders aber sei sein Erinnerungsvermögen und seine Erzählkunst hier genannt.

Ich war am Sonntag, den 19. September 1897, in der Kirche zu Gohfeld (heute "Simeonkirche" in Löhne-Gohfeld) vom Pastor Ordelheide getauft. Meine „Vaddern“, meine Paten, waren die beiden ältesten Brüder meines Vaters, „Vedda Heinrich und „Vedda Fritz“ und de älteste Bruder meiner Mutter, „Vedda Heinrich“. Das war so die richtige Reihenfolge, da bei der Taufe meines Bruders Hermann die  beiden Großväter Hinnak Ottensmeier und Androäs Böndel schon dieses Ehrenamt in unsere Familie bekleideten. Das war eben so die traditionelle Reihenfolge in der Familie, und wenn schon mit Rücksicht auf meinen Großvater der Rufnahme Heinrich vorgesehen war, so konnte das von zwei Paten nur unterstrichen werden, und so kam es zu Heinrich Friedrich, wobei eben auf Heinrich der Schwerpunkt lag und er der Rufname wurde. Eigentlich hätte zwar in dieser logischen Reihenfolge für meinen Bruder Friedrich später der Rufname Andreas fällig werden müssen, aber meine Mutter mochte besonders die plattdeutsche Form „Androäs“ nicht leiden, und außerdem war der Name in unserer engeren Gegend nicht gebräuchlich. (Großvater Böndel kam ja aus der Radewiger Feldmark in Herford). Eine ähnliche Antipathie hatte sie auch gegen Wilhelm-Willem, der trotz des Vorhandenseins in der Geschwisterreihe meines Vaters nicht zur Anwendung kam.

Auch jede Koseform oder Kürzel lehnte besonders meine Mutter ab, sie wollte keinen Herm, keinen Heini oder Heina, keinen Fretz oder Fretzken, wie es wohl sonst in der Verwandtschaft vorkam, um etwa Vater uns Sohn mit dem gleichen Vornamen unterscheiden zu können.

Dem damaligen kirchlichen Brauch entsprechend, nahm meine Mutter an keiner Taufe ihrer Kinder in der Kirche teil, da die Kinder möglichst bald getauft werden mußten, um nicht länger als nötig einen „Heiden“ im Haus zu haben. Ich wurde also mit zwölf Tagen getauft. (Martin Luther wurde bereits am Tage nach seiner Geburt getauft.) Die Wöchnerin durfte in den ersten sechs Wochen nach der Geburt des Kindes den häuslichen Bereich nicht verlassen. Und dann war der erste Gang zur Kirche. Sie ging dann „teo Käaken“. Wahrend des Kanzelliedes wurde sie vom Pfarrer am Altar eingesegnet.

Auch mein Vater nahm, wie wohl alle Väter seinerzeit, am Tauftage nicht am Gottesdienst und Taufakt in der Kirche teil. Er blieb entweder daheim oder fuhr mit einem Flechten- oder Kastenwagen das Kind mit der Nachbarfrau, die das Ehrenamt des Kindtragens hatte, zur Kirche. Unter Umständen fuhren auch die Paten mit.Von der häuslichen Feier der „Kinnadoäbnge“ ist mir nichts erzählt worden oder ich muß es wieder vergessen haben. Ich könnte mir zwar denken, daß in meinem Falle die Paten nach der Rückkehr von der Kirche auf den Ottenshof mit zu Mittag gegessen hätten, aber eine Nachmittagsfeier mit Kaffee und Kuchen war sicher nicht eingeplant.

Mein ältester Patenonkel, der Tischlermeister Heinrich Ottensmeier, war kinderlos verheiratet und wohnte in Herford. Er starb schon im Jahre 1899 an Magenkrebs. Ich habe ihn also nicht in Erinnerung. Später erzählte man mir, daß er die Absicht gehabt habe, mich, seinen Namensträger und sein Patenkind zu seinem Gehilfen und Erben zu machen. Bei seiner Frau Charlotte werde ich wohl nicht besonders gut angeschrieben gewesen sein, denn ich soll bei einem Besuch mit meinen Eltern auf dem schönen Teppich einen nassen Fleck hinterlassen haben. Und vom Erben ist glücklicherweise auch nichts geworden.

Ich weiß nicht, wann es gewesen ist, ob kurz nach meiner Geburt oder bei meiner Taufe, jedenfalls habe ich, oder besser, meine Mutter von Großvater Böndel einen Kinderwagen geschenkt bekommen. Solch ein Aufwand und solch ein modernes Gerät war auf dem Ottenshof, auch bei meinem Bruder Hermann, nicht da gewesen. Ihm stand allein bei Tage die alte Wiege zurr Verfügung, während er nachts bei unserer Mutter mit im großen Ehebett auf der „lüttken Stube“ schlief. Als ich ihm dann dieses Nest streitig machte, wurde er zu Vater weitergereicht. Auf diese Weise wurde bei dem späteren Nachwuchs dieses System noch ausgebaut. Die nächste Station war im Bett der Großeltern, die weitere  für die Jungen beim Knecht im Duttk in der „Schnuikaman“. Ich hörte des Nachts so gern das Kauen und Knuspern der Pferde, wenn sie sich noch Häcksel  oder das Heu einverleibten. Für die Mädchen, allerdings manchmal auch für die Jungens, war „Luidenkaman“  ein gewisses Endziel. Sicher haben nicht alle diesen Weg durchgemacht, denn im Jahre 1905  wurde für das Vieh ein Stallanbau nötig. In Auswirkung dieses Neubaues wurden an der Deele die Ställe frei und wurden zu einer „Jungeskaman“ umgebaut. Später kam noch eine zweite Kammer hinzu. Da schliefen wir dann in der Kammer, während wir im Kammerfach auf der Kammer schliefen. Meine Eltern zogen später in das Schlafzimmer meines Großvaters auf die „rechte Kammer“. Dann schliefen wir auf der lüttken Stoben, die durch eine Tür mit der rechten Kammer verbunden war.

Um die Bedeutung meines Kinderwagengeschenkes recht zu verstehen, muß ich erzählen, daß meine Eltern mit Hermann eines sonntags einen Besuch bei den Verwandten Schnatmeier auf dem Winterberg bei Vlotho machten. Sie gingen zu Mittag mit dem Kind auf dem Arm zu Fuß dorthin und kamen gegen Abend ebenfalls zu Fuß von dort zurück. Die Pferde standen im Stall und mußten sich ausruhen. Wie oft meine Eltern mit dem Kinderwagen ausgefahren sind, weiß ich nicht, denn sie hatten dafür wohl selten Zeit. Wir, die wir die jüngeren Geschwister später zu betreuen hatten, haben ihn mehr benutzt, und er hat dabei manchen Stoß aushalten müssen.

Eine Kinder- und Modenschau war der Tag, an dem die ein- bis zweijährigen Kinder „non Poggen“, zur Erstimpfung gegen Pocken mußten. Diese Veranstaltung fand in der Schule statt. Zu diesem Termin mußten sich dann die Paten erstmalig etwas merken lassen. Dann wurden Kleider geschenkt oder die etwa schon früher geschenkten Stoffe zu Kleidern verarbeitet. Auch bei den Knaben wurden Kleider geschenkt, da auch diese solange lange Kleider trugen, bis sie „roäggen“ waren. Das war natürlich weit bequemer für die Mütter, als ständig die Hosen zu öffnen und zuzumachen. So konnte man dann die Hosenanfänger sehr oft mit der offenen Hinterklappe herumlaufen sehen. Und mit der Reinigung war das auch einfacher.

Als ich, so erzählte Mutter, zu den „Poggen“ fertiggemacht wurde, kam Frau Pahmeier (Mühlmeier)….. (leider endet das Dokument hier. Anm. R. Lübben)

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1 Altentreffpunkt der Kirchengemeinde Mahnen wurde von Heinrich Ottensmeier gegründet und fand am Dienstagnachmittag von November 1969 bis Dezember 2009 statt.

 
 

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